Ob Tauwetter oder Eiszeit – Let‘s go outside

■ Anders zu sein ist nicht leicht, schon gar nicht in einem Landstrich wie Mecklenburg. In Trevor Peters' Film „Nach der Eiszeit“ erzählen fünf Frauen von ihrem Coming-out als Lesbe

Das hatte es im „Landeshauptdorf“ Schwerin noch nicht gegeben. Ein großer Kinosaal voller Lesben und Schwuler, die sich die Premiere von „Nach der Eiszeit“ von Trevor Peters nicht entgehen lassen wollten. Der Dokumentarfilm entpuppte sich als einer der vielumjubeltsten des FilmKunstFestes im Mai. Warum bloß? Weil der Film einfühlsam Geschichten schildert, die Mut machen. Mut, den man braucht, in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern zu seinem Anderssein zu stehen.

Fünf lesbische Frauen erzählen von ihrem Leben. Trevor Peters geht sensibel vor, läßt seine Protagonisten einfach erzählen, stört nicht mit Fragen. Das liegt vielleicht daran, daß der gebürtige Neuseeländer mit Wohnsitz in Hamburg Land und Leute bestens kennt. „Nach der Eiszeit“ ist sein dritter Dokfilm über Meck-Pomm. Ein schöner schlichter Film mit einer Message. „Ich verstehe meine Arbeit als Plädoyer für Menschlichkeit“, sagt Peters. Und: „Auf den jeweiligen Kampf kommt es an.“

Kämpfe also: Marita wuchs in einem kleinen Dorf auf. Vom Wort „lesbisch“ hat sie erst spät erfahren. In der 100-Seelen-Gemeinde hat es keine lesbischen Rollenvorbilder gegeben. Es existierten keine Beratungsstellen, Treffpunkte. In den Medien war das Thema bis 1988 tabu. Also geht die junge Frau trotz Selbstzweifeln den „normalen“ Weg. Heiratet einen Mann, den sie nicht liebt, eine Tochter wird geboren. Man lebt vor sich hin, bis auch der Ehemann merkt, daß da etwas nicht stimmt. Marita ging fremd – mit einer Frau.

Marita hatte zwei Alternativen. Entweder vor die Hunde gehen. Oder das Outing als Lesbe. Sichtliches Zeichen wird ein Kurzhaarschnitt, von der Friseurin in der Kleinstadt geschnitten. Der erzählt Marita von ihrem Lesbischsein, mit der Gewißheit, daß die Nachricht die Runde macht. Gut so, alle sollten es wissen. Dann der Umzug nach Schwerin, dort leben rund 100.000 Menschen. Hier gibt es fünf, sechs Kneipen, in denen Lesben und Schwule willkommen sind. Hier arbeitete Marita lange Zeit bei der Aids-Hilfe. Fühlte sich wohl und verließ dennoch die Stadt in Richtung Düsseldorf. Der Liebe wegen.

Alles nicht so spektakulär? Was sind schon ein paar Geschichten von Lesben? Von wegen. Meck- Pomm ist zwar ein schönes Land, doch leben dort nicht wenige Leute, die mit Homosexuellen nichts am Hut haben. Da gibt es Dörfler, die zum Beispiel ihre Lieblingsseifenoper „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ nicht mehr gucken, weil da jetzt zwei Homos rummachen. Oder da sind Schweriner Hausbesitzer, die einen lesbisch- schwulen Verein als Mieter nicht mögen. „So was“ paßt eben nicht in ein ehrenwertes Haus. Erst nach vielen Versuchen (und etwas Pressewirbel) fand der Verein dann doch ein neues Domizil. Deshalb ist der Film wichtig. Pech nur, daß er in Meck-Pomm so gut wie nicht zu sehen war. Andreas Hergeth

„Nach der Eiszeit“, Ein Film von Trevor Peters, D 1998, 88 Min.

Xenon und Hackesche Höfe 2: bis 23. Dezember, Hackesche Höfe 3: 25. bis 30. Dezember