Plüschig-faulige Düfte

Seine Filme sind tabulos und gespickt mit verdorbenem, schadenfrohem Humor – eine John-Waters-Retrospektive  ■ Von Jenni Zylka

In Baltimore heißt der 7. Februar seit 1985 „John-Waters- Day“. Wahrscheinlich hatte es die Stadt in Maryland damals einfach aufgegeben, sich über ihren Skandal- und Kultregisseur aufzuregen, und sich statt dessen seufzend entschlossen, ihn zu würdigen.

Ein schönes Beispiel dafür, wie sich mit ungewöhnlicher Kunst arrangiert werden kann, wenn es andere vormachen – Waters' Werk fand schon in den 70ern Anerkennung in Gay- und Off-Kino-Kreisen, noch vor seinen Filmen mit Hollywood-Stars wie Johnny Depp in „Cry Baby“ oder Kathleen Turner in „Serial Mom“. Der 52jährige Dandy, der selten ohne Zigarette und nie ohne seinen bleistiftdünnen Clark-Gable-Schnäuzer zu sehen ist, lebt immer noch in seiner Geburtsstadt und macht weiterhin konsequent Baltimore- Filme, bevölkert von durchgeknallten Baltimorern. Und er hat immer noch einen unglaublichen Blick für das Groteske, viel böse Fantasie und ein Händchen für Schauspieler.

Der wunderbare, mit traumhaft langen Wimpern ausgestattete Edward Furlong, der seinen jugendlichen Kinderschlafzimmerblick bis jetzt in eher unkomischen Filmen wie Terminator 2 und einem traurigen Familienthriller anwenden durfte, spielt in Waters letztem Streich „Pecker“ einen fröhlichen Fotografen mit Auge für richtig schönen „White Trash“, die hochbegabte Christina Ricci spielt eine Waschsalonbesitzerin, die ihren Beruf leidenschaftlich liebt und den ganzen Tag über Kot- und Urinflecken und Schweißränder spricht. Zwei Traumbesetzungen, ähnlich treffend war die Entdeckung seines High-School-Freundes Harris Glenn Milstead als Transvestit Divine. Divine mit seinen 150 Kilogramm verpackt im Glitzerschlauchkleid, seiner albernen, hochgetuneden Männerstimme, seiner Attitude und der Parodie eines Disco-Make Ups unter wild toupiertem Haar, war lange Waters' Muse, eine Inkarnation des schlechten Geschmacks.

Aber weil John Waters mehr kann, als eine Figur grell auszustaffieren, sind seine Filme abgesehen vom Low-Budget-Charme auch noch fantastische Satiren, und wenn es ein Gegenteil von Political Correctness gibt, dann heißt es John Waters.

In „Polyester“, in dem Divine als vom Schicksal gezeichnete Hausfrau unter dem Pornoproduzenten-Ehemann, dem klebstoffschnüffelnden „Baltimore Foot Tapper“-Sohn und dem sexsüchtigen High-School-Luder von einer Tochter zu leiden hat, entdeckt die Tochter Makramée als Therapie. Und wenn Divine in „Female Trouble“ gerät und beim Trampen vergewaltigt wird, verliebt sie sich danach natürlich in den Täter. Nennt ein Tabu, John Waters hat es gebrochen und sich darüber lustig gemacht. Noch ein Beispiel: In „Pecker“ gibt es eine Stripbar mit dem Namen „The Pelt Place“, in der lesbische Stripperinnen vor johlenden, fettleibigen Männern („We want bush!“) die Hüllen fallen lassen und die Zuschauer anranzen: „What are you looking at, asshole?“. Eine schöne Vorstellung, daß sich jemand über diese fiesen, schwarzen Spitzen aufregt, daß John Waters irgendwann mal oder vielleicht noch immer Stoff für Diskussionen in einer WG-Küche liefert.

Sein verdorbener, schadenfroher Humor ist im Prinzip der gleiche, der bei den Simpsons begeistert. Darum gibt es beim heutigen John-Waters-Special auch die Simpsons-Folge zu sehen, in der Waters der Figur „John“, einer spielzeugsammelnden Tunte, seine Stimme lieh – eine Ehre für den Regisseur.

Das andere große Stilmittel, das seine Filme so amüsant macht, ist die Musikauswahl: Tanzbare 50er- und 60er-Cuties, Obscure Rockabilly und Soulhits untermalen die Trash-Streifen ausnahmslos. In „Hairspray“ wird „The Bug“ getanzt, in „Cry baby“ regieren DooWop und Bop. Ex-Police-Schlagzeuger Stewart Copeland hat bei „Pecker“ für einen fantastischen Soundtrack gesorgt, und daß Punk-Legende Stiv Bators einen Teenage Rebell persifliert, ist in „Polyester“ ein großer Spaß. Und dann waren da noch die vielzitierten „Odorama“-Karten, die damals zur Vorführung von „Polyester“ ausgeteilt wurden: Wenn im Film eine Zahl blinkt, kratzt man das entsprechende Kästchen auf und riecht zum Beispiel Divines Füße, würg. „Erst haben wir die entsprechenden Düfte nacheinander in die Kinos geblasen“, erzählt der Meister in einer der raren Interviewschnipsel, Kurzfilmclips, Outtakes und Trailer, die für den heutigen Abend zusammengestellt wurden. „Aber Gerüche bleiben ja im Raum, so daß es nach drei verschiedenen einfach nur noch höllisch stank.“

Erstlingswerke werden heute zu sehen sein, frühe Geschmacksverirrungen, Kurzfilme und Erinnerungen an „den dicksten Transvestiten der Welt“, der so kompromiß- und schonungslos wie skandalträchtig in „Pink Flamingos“ (1972) echten Hundekot essen mußte.

Abgesehen von den bekannteren Namen, abgesehen von der nur noch selten wackeligen Kamera und der 1A-Qualität, sind seine neueren Filme noch immer plüschig-faule Schläge in das Gesicht des konservativen Durchschnittsamerikaners. Der Hundekot ist zwar von der Speisekarte gestrichen, aber der Müll, den Waters so liebevoll und vielfältig in seinen Filmen um die spleenigen Charaktere heruminszeniert, duftet stets stolz von der Leinwand.

John-Waters-Retrospektive täglich noch bis zum 30. Dezember im Central- und im Eiszeit-Kino, „John Waters Special“ (Kurzfilme, Ausschnitte, Trailer, Simpsons-Folge) heute, 22.15 Uhr im Central und am 23. Dezember, 22.30 Uhr im Eiszeit.

„The Universe of John Waters“– Ausstellung im Central und der Bar Eschloraque mit Waters' Lieblingsfilm mit Gimmick (fliegendes Skelett) nur am 25. Dezember, 23 Uhr!