Lienen bekämpft Schwarze Magie

Hansa Rostock trotzt dem gewesenen Bayern-Herausforderer Leverkusen in einem sehr gelblastigen Spiel ein 1:1 ab, das beiden Teams kaum weiterhilft  ■ Aus Rostock Matti Lieske

Als sich die Nerven etwas beruhigt hatten nach dem 1:1 von Bayer Leverkusen bei Hansa Rostock, kam die personifizierte Gelassenheit in Form von Reiner Calmund auf Ewald Lienen zu. „Bleib locker“, sagte der Leverkusener Manager mit besorgtem Unterton und fügte erklärend hinzu: „Ich habe dich heute beobachtet.“

Damit stand Calmund nicht allein, und es wäre auch schwierig gewesen, den Trainer von Hansa Rostock an diesem Tag zu übersehen. Neunzig Minuten lang vollführte Lienen an der Außenlinie eine Art indianischen Regentanz, wobei seine Beschwörungen und Verwünschungen aber nicht den Wetterdamönen galten, welche die Schleusen des Himmels schon freiwillig geöffnet hatten, sondern den Halbgöttern in Schwarz. Diese kleiden sich zwar mittlerweile grün wie die Förster, aber vor Ewald Lienen können sie ihre schwarze Seele nicht verbergen. Wie kein anderer verfolgt der Hansa-Coach die Schiedsrichter, wie kein anderer fühlt er sich von ihnen verfolgt. Lienen ist der festen Überzeugung, daß die Referees sein Rostocker Team systematisch aus der Bundesliga pfeifen wollen, und dementsprechend teufelt er auf sie los. Diesmal konnte er zu Beginn der Partie allerdings nicht ahnen, was er mit seinen zügig aufgenommenen Tobsuchtsanfällen lostreten würde.

Zunächst einmal brachte er den Kollegen Daum in Rage, als er für das eher läßliche Foul eines Leverkuseners mit ekstatischen Gesten harte Bestrafung forderte. Daum quittierte Lienens Auftritt als Racheengel mit wütenden Beschimpfungen, und schon lieferten sich beide ein ob der Entfernung von 30 Metern recht lautstarkes Verbalduell. Schiedsrichter Hans-Jörg Weber indes hatte die Botschaft verstanden. Fortan war seine Pfeife schier ununterbrochen in Betrieb, und am Ende hatte er mit neun gelben und drei gelb-roten Karten den Bundesligarekord eingestellt, obwohl das unschöne Spiel auf seifigem Boden zwar hektisch und verbissen, aber selten bösartig war. „Alles lief ganz normal, und dann so viele Karten“, staunte Bayer-Keeper Matysek, offenbarte dabei jedoch ein merkwürdiges Verständnis von Normalität. Genauer traf die Sache schon Christoph Daum, der in seiner gewohnt geschraubten Art die Ansicht formulierte: „Von der Zweikampfhärte und den Nickligkeiten her war es eines der interessantesten Spiele.“ Tatsächlich gab es kaum einen Zweikampf ohne Foul, und Webers Pfiffe waren, ebenso wie die Karten, im Rahmen seiner konsequent verfolgten Linie des Durchgreifens fast alle vertretbar.

Nach dem Spiel sah das beinahe auch Ewald Lienen ein, sprach aber immer noch von „überzogenen Karten“ und davon, daß sein früh des Feldes verwiesener Kapitän Timo Lange doch nur zweimal „eine Tretung“ gemacht habe, während der Leverkusener Zivkovic ständig an Neuville gehangen hätte. „Ist Zivkovic eigentlich auch vom Platz geflogen“, fragte er, emsig in seinen Aufzeichnungen buddelnd, und offenbarte, daß auch der Chefchroniker der Liga gelegentlich die Übersicht verliert. Mit dem Kollegen Daum hatte sich Lienen längst versöhnt. Schon während des Spiels hatten beide nach erneutem Injurienaustausch eine kleine Friedenskonferenz in der neutralen Zone abgehalten, und nach Spielende schmierten sie sich förmlich Honig ums Maul. Als „die stärkste Mannschaft Deutschlands, die einfach Meister werden muß, weil sie über das größte Potential verfügt und den besten Fußball spielt“, lobte Lienen die Leverkusener, Daum bescheinigte den Rostockern, daß „die Moral stimmt, die Mannschaft marschiert“. Man könne sich nicht vorstellen, „warum sie absteigen soll“.

Ein wenig in Vergessenheit geriet in der vorweihnachtlichen Euphorie, daß das von beiden Trainern als gerecht bezeichnete 1:1 allseits fatal war. Leverkusen hatte gegen einen Abstiegskandidaten in Überzahl eine 1:0-Führung verspielt und binnen einer Woche acht Punkte auf die Bayern verloren. Damit ist das Team endgültig dort, wo Daum es beharrlich angesiedelt hat: weit weg von jedem Gedanken an die Meisterschaft. Rostock verbringt die Winterpause auf einem Abstiegsplatz, was Lienen unter extensiver Gemeinplatzverwendung schönzureden suchte. Ein Vorteil sei das, denn nun wisse jeder, was die Stunde geschlagen habe, und daß man mit dem Rücken zur Wand stehe. Nach fünf Punkten aus den letzten drei Spielen darf der von den Fans gestützte Hansa-Coach („Ewald, wir steh'n Dir bei“) immerhin damit rechnen, daß er auch künftig vor der Rostocker Bank veitstanzen und sich bei der Bekämpfung der Schwarzen Schiedsrichter-Magie aufreiben darf. Wenig wahrscheinlich ist, daß er Reiner Calmunds Ratschlag befolgt.

Bayer Leverkusen: Matysek – Nowotny – Zivkovic, Happe – Reeb, Emerson, Ramelow, N. Kovac, Zé Roberto – Kirsten, Meijer

Zuschauer: 12.000; Tore: 0:1 Zivkovic (29.), 1:1 Neuville (72.)

Gelb-rote Karten: Lange (62.), Ramelow (88.), Kovac (89.)

Hansa Rostock: Pieckenhagen – Rehmer, Ehlers (69. Agali), Zallmann – Lange, Wibran, Yasser, Majak – Ramdane, Breitkreutz (69. Dowe) – Neuville (82. Fuchs)