Rußlands neue Mitte für alte Köpfe

■ Moskaus populistischer Bürgermeister Juri Luschkow gründet neue zentristische Partei, die ihm helfen soll, Präsident Jelzin zu beerben

Moskau (taz) – Am Wochenende hat Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow eine neue politische Organisation gegründet. Nach seinen Vorstellungen soll sich der Parteiembryo „Vaterland“ bei den Duma-Wahlen im Dezember 1999 zu einem breiten Sammlungsbecken zentristischer Kräfte entwickeln. Die Ära der radikalen Monetaristen und Liberalen sei nunmehr vorbei: „Wir dürfen den Reformfalken nicht erlauben, die Kontrolle zurückzuerlangen.“ Unter deren Herrschaft habe sich Rußland in eine Müllhalde verwandelt. Der Populist forderte „Arbeiter, Bauern, Militärs und die Intelligenz“ auf, in die Reihen der Zentristen einzutreten.

Luschkow hat indessen nicht allein die Parlamentswahlen im Auge. Der pragmatische Stadtpatron hofft mit der neuen Organisation eine schlagkräftige Truppe heranzuziehen, die seinen Präsidentschaftswahlkampf 2000 maßgeblich bestreitet. Aus seiner Absicht, Jelzin zu beerben, macht der ehemalige Petrochemiker kein Hehl. In Umfragen rangiert er seit Monaten auf Platz 3 der vorläufigen Kandidatenliste. 1996 hatten die Wähler der Hauptstadt ihrem „Mer“, so nennen die Russen ihr Stadtoberhaupt, mit über 90 Prozent für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Damals zählte das erfolgreiche Stadtoberhaupt noch zu den Parteigängern Jelzins. Als sich der gesundheitliche Verfall des Kremlchefs nicht mehr verleugnen ließ und Rußland von der wirtschaftlichen Krise erfaßt wurde, ging Luschkow auf Distanz. Die Schlappe des Reformlagers und die zunehmende Radikalisierung der Kommunisten scheinen nun günstige Voraussetzungen zu schaffen, um eine gemäßigte Kraft zu etablieren. Indes fehlt auch „Vaterland“ wie den meisten russischen Parteien bisher die soziale Basis. Die glaubt Luschkow nun durch die Allzweckformel Markt, starker Stadt, Sozialpolitik und Patriotismus an sich binden zu können. Besuche bei Toni Blair und Gerhard Schröder sollen das Image abrunden: der gute Hausherr – Sozialdemokrat und Repräsentant der neuen Mitte. Um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, wieder einem Modell aufzusitzen, das dem Westen entlehnt wurde, verkündet er: „Rußland muß den dritten Weg suchen.“ Die Betonung liegt auf suchen. Denn bisher ist das Programm noch recht dürftig.

Die vernichtende Kritik an der bisherigen Politik des Kreml mag berechtigt sein. Aus dem Munde des Bürgermeisters klingt sie indes wenig glaubhaft. Ein Großteil der neuen Verbündeten gehörte zuvor zur Mannschaft Jelzins. An der Gründungsveranstaltung nahmen neben Ex-Sicherheitschef Kokoschin Jelzins Tennistrainer Tarpischtschew und Gouverneure aus 20 Regionen teil. Selbst Ex-Präsidentensprecher Jastrskhembski war anfangs mit von der Partie. Und die ehemals regierende Partei „Unser Haus Rußland“ diente sich gleichfalls vorsichtig an.

Das von Luschkow reklamierte „Wirtschaftswunder“ in Moskau dürfte bald an Glanz verlieren. Der Aufschwung gelang ihm nur, weil er in halbdiktatorischer Weise die Wirtschaft der Metropole im Interesse der Bürgermeisterei monopolisierte. Zum neuen sozialdemokratischen Image will auch nicht der Chauvinismus passen, den Luschkow bei jeder Gelegenheit verbreitet. Klaus-Helge Donath