AKW-Jahr ist länger als ein Kalenderjahr

■ Neue Details aus den Verhandlungen zum Thema Atomausstieg. "Zukunftspfennig" auf den Strompreis soll Kernkraftfirmen zugute kommen. Hunderttausend-Dächer-Programm für Solaranlagen wird auf 1. Janua

Berlin/Bonn (taz/dpa/AP) – Gesprächsaufzeichnungen aus dem schon fast legendären Montagstreffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den Vertretern der Atomstrombranche sind bei der Welt am Sonntag gelandet. Daraus ergibt sich ein Anhaltspunkt, wie sich die Restlaufzeiten der deutschen AKW errechnen. Demnach fordern die Konzerne mindestens 35 oder 40 sogenannte Vollastjahre für ihre Reaktoren – das heißt, jede Wartung oder die teilweise langen Stillstände wegen Reparaturen werden dabei nicht mitgerechnet. Wirtschaftsminister Werner Müller wies demnach im Gespräch darauf hin, daß mit den „Grünen allenfalls 30 Vollastjahre zu machen sind“. Bei einem absehbaren Kompromiß würden manche AKW dann bis etwa 2020 laufen.

Letzten Montag hatte sich der Kanzler mit den vier Vorstandschefs von RWE, PreussenElektra, Viag/Bayernwerke und Energie Baden-Württemberg (EnBW) besprochen, wie die angekündigte Atomgesetznovelle von Umweltminister Jürgen Trittin abgeschwächt werden muß, damit die Unternehmen die Konsensgespräche zum Atomausstieg nicht platzen lassen. Dabei wurden anscheinend gleich die Grundlagen für die eigentlich erst beginnenden Verhandlungsrunden von Regierung und Industrie festgelegt.

Bei den zwei AKW, die als Zugeständnis an die Grünen schon vor der nächsten Bundestagswahl stillgelegt werden sollen, ist den Montagsverhandlern ein Trick eingefallen: Sie nehmen das gerichtlich abgeschaltete AKW Mülheim- Kärlich in die Liste der mehr oder weniger betriebsbereiten deutschen Reaktoren auf. Statt 19 wären das dann 20 Meiler. Dann schalten sie davon zwei ab – einer davon das AKW auf der Erdbebenspalte am Rhein.

Um der Strombranche den Ausstieg aus der Atomkraft weiter zu versüßen, hat Wirtschaftsminister Müller am Freitag abend im „Bericht aus Bonn“ (ARD) einen neuen Vorschlag gemacht: Die Bundesregierung wolle einen „Zukunftspfennig“ einführen, so der parteilose ehemalige Energiemanager. Die Konzerne könnten demnach auf freiwilliger Basis etwa einen halben Pfennig je Kilowattstunde auf die Stromrechnung für die Verbraucher aufschlagen. Das soll 2,5 Milliarden für einen gemeinsamen Fonds bringen, der unter anderem die Umrüstung der Branche auf ökologische Energieformen finanzieren soll. Der SPD- Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Peter Struck, nannte den Müller-Vorstoß allerdings eine „private Vorstellung“, die erst noch erörtert werden müsse.

Der Wirtschaftsminister kündigte darüberhinaus ein Hunderttausend-Dächer-Programm schon ab dem 1. Januar an. Dann soll es für Solaranlagen verbilligte Kredite geben. Eigentlich war das Programm erst für den Sommer vorgesehen, weil jedoch nun viele Kunden ihre Aufträge verschieben wollten und die Hersteller von Photovoltaikanlagen schon drastische Umsatzeinbußen meldeten, wird die Fördermaßnahme vorgezogen. Das Programm soll sechs Jahre laufen und laut Focus 900 Millionen Mark Bundesmittel beanspruchen.

Die Solarindustrie hatte schon letzte Woche den Förderentwurf kritisiert. Weil das Programm auf einen Zuschuß von weniger als 30 Prozent hinauslaufe, seien Nachbesserungen erforderlich. rem