„Saddam hält sich nun selbst für eine Supermacht“

■ Der irakische Menschenrechtler Sahib al-Hakim über die Situation Saddam Husseins, der irakischen Bevölkerung und der Opposition nach der Beendigung der Luftangriffe der USA und Großbritanniens

Sahib al-Hakim ist Sprecher der Organisation für Menschenrechte im Irak. Er lebt in London im Exil.

taz: Wie stehen nach dem Ende der Luftangriffe die Chancen, Saddam Hussein zu stürzen?

Sahib al-Hakim: Es ist ein Katz- und-Maus-Spiel. Wir haben erwartet, daß die USA und Großbritannien nach ein paar Tagen mit den Bombardements aufhören. Der Golfkrieg hat nie aufgehört. Und so wird es immer weitergehen.

Was hat der Angriff erreicht?

Wir warten noch auf genaue Informationen aus dem Irak. Einige militärische Einrichtungen wurden zerstört und etliche Zivilisten getötet. Die irakische Bevölkerung leidet unter diesem Spiel zwischen den USA, Großbritannien und der irakischen Regierung. Das ganze ist kein Problem zwischen dem Irak und dem UN-Sicherheitsrat, sondern ein Problem zwischen Saddam Hussein und der irakischen Bevölkerung. Sie leidet unter den Händen Saddam Husseins und unter dem UN-Embargo. Alle reden über die Bombardierung, aber niemand fragt, was die irakische Bevölkerung und die irakische Opposition wollen.

Was wollen Sie?

Die einzige Lösung ist, Saddam Hussein zu bestrafen und nicht die irakische Bevölkerung, seine Opfer. Wir fordern, Saddam Hussein den Prozeß zu machen. Er hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten, er ist ein Kriegsverbrecher. Er hat Kuwait überfallen und acht Jahre Krieg gegen Iran geführt. Er hat chemische Waffen gegen die Kurden eingesetzt und die Schiiten im Süden angegriffen. Erst vor zwei Wochen gab es im Süden Iraks eine große Offensive der Armee. Dabei wurden Hunderte Menschen getötet. Aber darüber redet niemand. Statt dessen geht es immer nur um Saddam und die USA.

Um Saddam Hussein vor Gericht zu stellen, muß man ihn erst einmal festnehmen.

Nicht unbedingt. Wir wollen ihm zur Not auch in Abewesenheit einen Prozeß machen. Es muß klar sein, daß seine Herrschaft illegitim ist. Sein Vertreter gehört aus der UNO ausgeschlossen, seine Botschaften weltweit gehören geschlossen und seine Guthaben eingefroren. Das würde die irakische Bevölkerung und das Militär ermutigen, sich gegen Saddam Husssein zu erheben, weil sie wüßten, daß der Westen es ernst meint.

Was verändert eine Verurteilung in Abwesenheit?

Es wäre klar, daß Saddam Hussein persönlich ein Verbrecher ist.

Clinton hat gesagt, eines seiner Ziele sei es, Saddam Hussein zu stürzen. Glauben Sie ihm?

Nein. Die Bombardierungen wurden beendet, ohne Saddam Hussein zu gefährden. Es ist nicht die Frage, wie viele militärische Einrichtungen man zerstört. Es ist keine Frage zerborstener Fenster und kaputter Ziegel. Saddam Hussein selbst muß getroffen werden. Jetzt steht er wie ein Sieger da und sagt: Schaut her, eine Supermacht hat versucht, ein kleines Land zu zerstören, und ist daran gescheitert. Saddam hält sich nun selbst für eine Supermacht.

Haben ihn die Angriffe gestärkt oder geschwächt?

Er ist gestärkt und wird die Bevölkerung noch brutaler unterdrücken. Er gilt jetzt als arabischer Held. Das schadet der Bevölkerung und der Opposition. Jetzt wird es heißen: Wie soll ihn die Opposition stürzen, wenn das nicht einmal eine Supermacht kann?

Aber eines der Haupthindernisse zum Sturz Saddam Husseins ist, daß die irakische Opposition heillos zersplittert ist.

Das ist nicht entscheidend. Die Welt muß die irakische Bevölkerung zum Aufstand ermutigen und unterstützen. US-Piloten, die in den letzten Monaten die Flugverbotszone im Süden Iraks kontrollierten, haben genau gesehen, wie irakische Truppen dort die Menschen bombardieren. Sie haben fotografiert, aber nicht eingegriffen. Sie lassen ihn agieren, dabei müßte der Westen den Irakern helfen, Saddam Hussein loszuwerden.

Wie?

Sie müssen ganz klarmachen, daß sie Saddam Hussein stürzen wollen. Ein solches Signal wäre ein Prozeß gegen ihn. Aber der Westen will Saddam Hussein auf seinem Posten halten, als Gegengewicht zum Iran und als Bedrohung des Friedens in der Region. Saddam Husseins Existenz legitimiert, daß US-Truppen am Golf stationiert sind und die USA den Scheichs dort immer neue Waffen verkaufen können. Interview: Thomas Dreger