Vorläufige Vollendung einer Mission

■ Weitere Bombardements im Irak während des Ramadan hätten zu noch mehr Protesten in den arabischen und islamischen Staaten geführt. Doch nach dem Ende des Fastenmonats ist mit neuen Angriffen zu rechnen

Im Irak schweigen vorerst die Waffen. Ob das militärische Ziel erreicht wurde oder ob die Regierungen in Washington und London aus Respekt vor dem am Samstag begonnenen islamischen Fastenmonat Ramadan ihren Truppen Einhalt geboten haben, ist offen. Doch der Konflikt ist nicht beendet und wird womöglich nach Ende des Ramadan Mitte Januar fortgesetzt werden. Dafür spricht die Tatsache, daß der offizielle Grund für die jetzigen Angriffe, die irakische Weigerung, mit den UN-Waffeninspekteuren zusammenzuarbeiten, weiterhin exisitiert. Iraks Vizepräsident Taha Jassin Ramadan erklärte am Samstag, daß es in seinem Land keine weiteren Waffeninspektionen der UN-Sonderkommission (Unscom) geben werde. US-Präsident Bill Clinton kündigte dagegen an, für den Fall, daß die irakische Führung die Unscom an der Wiederaufnahme ihrer Arbeit hindere, seien die USA zu neuen Angriffen bereit.

Wieviel Schaden die 300 Cruise Missiles, die im Irak niedergingen, und die mehr als 600 Angriffe, die laut dem US-Stabschef General Hugh Shelton geflogen wurden, tatsächlich angerichtet haben, ist noch offen – ebenso die Frage, wie viele Zivilisten umgekommen sind. US-Verteidigungsminister William Cohen sprach am Samstag abend von ungefähr 100 bombardierten Zielen im Irak. „Mission vollendet“ heißt es aus Washington. Zumindest vorläufig.

Welche Rolle der Beginn des Fastenmonats Ramadan bei der Entscheidung spielte, die Angriffe nach nur vier Tagen einzustellen, ist unklar. Zumindest öffentlich wollten sich die Militärs zunächst nicht von religiösen Erwägungen einschränken lassen. „Wir legen keine künstlichen Zeitgrenzen für die Militäroperation fest“, hatte Cohen Ende letzter Woche verkündet. Der Satz ging von Empörung begleitet in den islamischen Staaten von Mund zu Mund. Da half auch nicht, daß US-Präsident Bill Clinton seinen tiefsten Respekt vor dem heiligen islamischen Monat ausdrückte und der britische Premier Tony Blair sein Mitgefühl mit den Muslimen gerade im Ramadan betonte. Für die Gläubigen zählte allein die Tatsache, daß die Iraker das erste Fastenbrechen des Monats, das traditionell im engsten Familienkreis stattfindet, unter Sirenengeheul begehen mußten.

Der Ramadan gilt den Muslimen nicht nur als Fastenzeit. Er ist auch der Monat, am dem sich die Muslime besonders gewissenhaft ihren religiösen Pflichten widmen. Jede gute Tat in diesem Monat gilt laut dem Propheten Muhammad gleich siebzigfach. Im Zentrum sollen Versöhnung, Barmherzigkeit und Vergebung stehen. Alles Negative soll vermieden werden – auch kriegerische Auseinandersetzungen. Der Monat gilt als besonders günstige Zeit, um Konflikte beizulegen.

Nichtsdestotrotz gibt es auch Fälle, in denen Muslime im Ramadan gekämpft haben, etwa im acht Jahre währenden Krieg zwischen Iran und Irak oder im arabischen Krieg gegen Israel 1973. Besonders problematisch ist es aber, wenn Nichtmuslime Muslimen einen Konflikt in der Fastenzeit aufzwingen.

Doch jenseits von religiösen Erwägungen ist der Ramadan für die Menschen ein Fest, zu dem man sich trifft, Familienbande schmiedet, an die Kinder Süßigkeiten verteilt und bunte Laternen aufstellt. Die Bombardierung Bagdads zu dieser Zeit ist vergleichbar mit einer Bombardierung Washingtons oder New Yorks am Heiligabend.

Die Warnung des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, am Tag bevor die USA ihre militärischen Aktionen einstellten, kamen nicht von ungefähr. Niemand könne akzeptieren, was der irakischen Bevölkerung widerfahre, und niemand könne deshalb auch verärgerte Demonstranten in der arabischen Welt verurteilen, sagte der traditionelle Verbündete der Regierung in Washington.

Warnsignale existierten genug, und das bereits vor Beginn des Fastenmonats. In Jordanien, Ägypten und den autonomen Palästinensergebieten gab es Demonstrationen. Am aufgebrachtesten zeigten sich die Menschen in Syrien am Samstag während einer Massendemonstration vor der US-Botschaft in der Hauptstadt Damaskus. Von überall waren die Menschen zusammengeströmt. Einigen gelang es, in das Gebäude einzudringen und Mobiliar zu zertrümmern. Andere kletterten auf das Dach und rissen die Fahne herunter, die anschließend in Flammen aufging.

Demonstrationen sind in Syrien nicht an der Tagesordnung, die autokratisch herrschende Führung um Präsident Hafis al-Assad vermeidet jeden Ausdruck eines unabhängigen Volkswillens. Doch diesmal scheint sie sich entschlossen zu haben, den Menschen ein Ventil für ihre Wut zu öffnen. Erst als die Situation außer Kontrolle geriet, drehte die Polizei das Ventil mit viel Mühe wieder zu.

Bei einer Fortsetzung der Angriffe auf den Irak hätte eine Situation entstehen können, in der die Menschen in der arabischen Welt nicht nur ihrer Wut gegen die USA und Großbritannien zum Ausdruck gebracht hätten, sondern auch ihren Ärger über ihre eigenen Regierungen, die das ganze stillschweigend duldeten. Diese Aussicht war am Ende vielleicht für die militärischen und politischen Planer in Washington das entscheidende Motiv, sich zumindest derzeit weiterer Angriffe zu enthalten. Karim El-Gawhary, Kairo