Der lange Weg zur Palastrevolution

Wirtschaftskrise und Kongokrieg: In Simbabwe wächst die Unzufriedenheit mit dem Mugabe-Regime. Gewerkschaften werden stärker, Menschenrechtsorganisationen und Kirchen arbeiten an einer neuen Verfassung  ■ Aus Harare Kordula Doerfler

Ein kleiner, bunt zusammengewürfelter Haufen marschiert durch Harare. Weit und breit ist keine Polizei zu sehen, doch die Autofahrer gehen freiwillig vom Gas und staunen. Auf den Bürgersteigen bleiben die Menschen stehen, Geschäftsinhaber kommen neugierig heraus. So etwas hat man im biederen Harare noch nicht gesehen. „Simbabwe feiert Menschenrechte für alle“, heißt es auf den Transparenten. Und: „Wir trauen uns heraus und sind stolz darauf.“ Zwei schöne junge Männer tragen es tänzelnd vor sich her. Dazu gehört Mut. Die Männer sind schwarz – und schwul.

„Wir wollen nicht länger im Verborgenen leben“, sagt Romeo, 18 Jahre und auffällig geschminkt. Seinen richtiger Namen nennt er lieber nicht. Immerhin ist es das erste Mal, daß der von der Regierung verfolgte Schwulen- und Lesbenverband von Simbabwe „Galz“ öffentlich in Erscheinung tritt. Homosexualität gilt im Simbabwe als „westliche Perversion“ und ist gesetzlich verboten. Immer wieder ist Präsident Robert Mugabe gegen Homosexuelle ausfällig geworden. Öffentlich darf er sie als „niedriger als Hunde und Schweine stehend“ bezeichnen.

Einem, der in diese Kategorie fällt, wird zur gleichen Zeit ein paar Straßenecken weiter der Prozeß gemacht. Canaan Banana, 1980 erster protokollarischer Präsident des unabhängigen Simbabwe, Theologe und Vater von vier Kindern, ist das erste Mitglied der Regierungspartei Zanu-PF, das wegen Homosexualität und der Verführung Abhängiger vor Gericht steht. Mugabe ist das Verfahren ein Greuel, und Gerüchten zufolge soll die Partei Banana geholfen haben, vor der Urteilsverkündung ins Ausland zu fliehen.

Den Schwulen und Lesben in Simbabwe hat der Musterprozeß Angst und Mut zugleich gemacht. „Es ist ein historischer Witz, daß nun einer der Ihren Opfer der eigenen Gesetze wird“, sagt Keith Goddard, bekanntestes Mitglied von Galz. „Weniger verfolgt werden wir aber trotzdem nicht.“ Die Polizei hat den Begleitschutz für die Demonstration zurückgezogen, als sie von der Teilnahme der Organisation erfuhr. Jetzt hat man indessen anderen Schutz: internationale Aufmerksamkeit. Zehn Kilometer vom Zentrum, in der Universität von Harare, tagen mehrere tausend protestantische, reformierte und orthodoxe Christen aus aller Welt in der achten Vollversammlung des Weltkirchenrats.

Simbabwe erhält mehr internationale Aufmerksamkeit, als der Regierung lieb ist. Flankiert von ausländischen Journalisten und Kirchenvertretern, traut sich Galz an diesem 10. Dezember, dem 50. Jahrestag der UN-Menschenrechtscharta, mit anderen Menschenrechtsorganisationen auf die Straße. Zwar wird der Menschenrechtstag entsprechend der Parteidoktrin auch in Simbabwe „gefeiert“. Die Demonstration in Harare allerdings findet in den staatlichen Medien keine Erwähnung. Es gefällt der Regierungspartei Zanu-PF nicht, daß hier eine eigens erarbeitete „Menschenrechtscharta“ für Simbabwe verteilt wird. Lieber läßt man sich vom Fußvolk für die „demokratischen Errungenschaften“ nach fast 19 Jahren Einparteienherrschaft preisen.

Gewerkschafter als neuer Hoffnungsträger

Nachrichtensperren sind längst Alltag in Simbabwe. Auch über den letzten Generalstreik im November durfte nicht berichtet werden. Die Aktionen unter der Schirmherrschaft des mächtigen Gewerkschaftsverbands ZCTU indessen legten nicht nur die großen Städte des Landes lahm, sondern trafen die Regierung ins Mark. Mugabe griff zu einem bewährten Mittel – er verbot alle Arbeitsniederlegungen.

„Davon lassen wir uns nicht einschüchtern“, sagt Morgan Tsvangirai in seinem Büro, 200 Meter von der Demonstration entfernt. Auf seinem Schreibtisch und im Vorzimmer stehen die Telefone nicht still. Wenige Stunden vor einem erneuten Treffen mit der Regierung macht der Generalsekretär der ZCTU alles zur gleichen Zeit: Termine koordinieren, Besucher sprechen, Interviews geben. In der erstarrten politischen Landschaft von Simbabwe, wo die Opposition bislang schwach und zerstritten war, ist der 46jährige Gewerkschafter ein Hoffnungsträger.

Seitdem es in Simbabwe zu Hungeraufständen und Gewalt kommt, steht Tsvangirai im Zentrum des Widerstands gegen die Regierung. Gegen das Streikverbot wollen er und einige Menschenrechtsorganisationen nun gerichtlich vorgehen. Sie haben gute Chancen. Simbabwes Justiz ist immer noch unabhängig.

Längst gehen die Forderungen des Gewerkschaftsverbands mit seinen rund 400.000 Mitgliedern über klassische Arbeitnehmerinteressen hinaus: Tsvangirai verlangt nicht nur eine Anhebung der Löhne um 20 Prozent und niedrige Preise für Grundnahrungsmittel, sondern auch eine Kontrolle des staatlichen Haushalts und das Ende des militärischen Engagements Mugabes in der Demokratischen Republik Kongo.

„In Ländern der Dritten Welt sind Gewerkschaften anders strukturiert als in den Industriestaaten“, sagt Tsvangirai. „Wir sind auch eine politische Bewegung in einem Einparteienstaat – ob wir es wollen oder nicht.“ Er selbst habe keine politischen Ambitionen, fügt er lachend hinzu. Andere sehen ihn jedoch als künftigen Präsidentschaftskandidaten. Übereinstimmend wird ihm großes politisches Talent attestiert. „Tsvangirai versteht es, isolierte Strömungen zu bündeln und deren politische Forderungen erst dann vorzutragen, wenn sie in der Debatte sind“, sagt ein Beobachter.

Seit Monaten schlittert Simbabwe immer tiefer in seine größte wirtschaftliche Krise, und erstmals entlädt sich der Unmut der Bevölkerung über Korruption und Mißwirtschaft. Während der Krieg im Kongo täglich eine Million US- Dollar kostet, ächzt die Bevölkerung unter immer höheren Abgaben und Steuern. Die Inflation liegt bei fast 45 Prozent, die Landeswährung hat seit Jahresbeginn um 70 Prozent an Wert verloren.

Zugleich sinken die Realeinkommen so stark, daß es zu Straßenaufständen und Plünderungen kommt. Erst im November führte eine Erhöhung es Benzinpreises um fast 70 Prozent zu Ausschreitungen. Auch die Landbevölkerung begehrt auf. In den vergangen Wochen haben arme Kleinbauern mit Veteranen aus dem Befreiungskrieg weiße Großfarmen besetzt, weil die von der Regierung versprochene Landreform nicht vorankommt.

Die Machtstellung der Zanu ist indessen nach außen hin ungebrochen. Bis in die letzten Winkel der Gesellschaft ist die ehemalige Befreiungsbewegung vorgedrungen, die auch den überwiegenden Teil der Medien kontrolliert. Nach guter afrikanischer Tradition hat der 74jährige Mugabe auch verhindert, daß ein Nachfolger neben ihm groß wird. „Wenn Mugabe geht, zerfällt die Partei“, befürchtet Wilfamos Mashirezaidse, in der Hierarchie auf mittlerer Ebene. „Eine Alternative zu Mugabe gibt es nicht.“

Andere hoffen, daß darin gerade die Chance für einen jüngeren Nachfolger liegen könnte. Unter der Oberfläche ist die Einheit längst nicht mehr so groß, wie man nach außen glauben machen möchte. Einzelne Regionen des Landes streben nach mehr Autonomie, im unruhigen Matabeleland im Süden wurde sogar eine neue Partei gegründet. Zwar geben sich die regierungsnahen Medien Mühe, den alternden Staatsmann Mugabe als kompetenten Staatsmann zu präsentieren. Längst aber hat ihm Nelson Mandela den Rang abgelaufen, und wegen der Unterstützung Kabilas steht Mugabe unter enormem Druck seitens der Geberländer.

An der Regierungspartei führt kein Weg vorbei

Innerhalb der Partei will die nächste Generation an die Macht, der die rituelle Beschwörung der Befreiungsideologie weniger bedeutet als der heute regierenden alten Garde. Es kommt einem politischen Erdbeben gleich, daß bei der Wahl der Provinzvorsitzenden der Partei vor zwei Wochen fünf von acht Posten an parteiinterne Widersacher Mugabes fielen. Auch im Parlament in Harare, in dem die Zanu 147 von 150 Sitzen hat, wagen es heute Abgeordnete, Kritik an der Regierung zu üben. Um die galoppierenden Staatsausgaben endlich einer gewissen Kontrolle zu unterziehen, gibt es jetzt einen Haushaltsausschuß, der regelmäßig tagt.

Große Hoffnungen setzen Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen auf eine neue Verfassung, an der sie bereits arbeiten. „Wir hoffen, daß bei den nächsten Wahlen im Jahr 2000 eine neue Verfassung gelten wird, in der demokratische Rechte und Menschenrechte besser geschützt sind“, sagt Mike Auret, Vorsitzender der „Katholischen Kommission für Frieden und Gerechtigkeit“. Mit Tsvangirai leitet der unermüdliche Streiter für Menschenrechte die zentrale Arbeitsgruppe in der „Nationalen Verfassunggebenden Versammlung“ (NCA), einem bisher eher losen Verband von gesellschaftlichen Kräften außerhalb der Partei.

Daß bei einer neuen Verfassung an der Zanu-PF kein Weg vorbeiführt, wissen die Reformer. „Auch die nächste Regierung wird von der Zanu gestellt werden, selbst wenn Mugabe abgelöst wird“, glaubt Auret. „Um so wichtiger ist, daß die Reformkräfte aus der Partei beteiligt werden.“ In einer künftigen gewählten Verfassunggebenden Versammlung sollen das Parlament und außerparlamentarische Gruppen paritätisch vertreten sein. Ob die Partei das mitmacht, ist fraglich.

Längst hat sie erkannt, daß ihre politische Hegemonie durch solche Bestrebungen angetastet wird. Auf ihrem alljährlichen Parteitag kurz vor Weihnachten beschlossen die 5.000 Zanu-Delegierten selbst noch einmal eine Reform der Verfassung von 1979, die die Partei seit der Unabhängigkeit schon fünfzehn Mal geändert hat und die den Präsidenten mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. „Damit könnten all unsere Bemühungen zunichte gemacht werden“, befürchtet ein Mitarbeiter der NCA. „Wenn die Leute den Eindruck haben, daß das von der Partei kommt, werden sie sich nicht mehr dafür interessieren.“

Bei Veranstaltungen dieser Art bleibt man gern unter sich. Bei dem Parteitag in der Provinzstadt Gweru, fast 300 Kilometer südwestlich von Harare, bestand keine Gefahr, daß neugierige Kirchenvertreter vor der Tür standen, und Journalisten aus dem Ausland waren nicht zugelassen. Genosse Mugabe durfte sich bejubeln lassen und androhen, daß man es ernst meine mit der Enteignung von 841 weißen Großfarmern. „Wir werden uns jetzt das Land holen und später dann entschädigen“, erklärte Mugabe trotzig. Wer Simbabwes politische Landschaft kennt, darf sich nun fragen, wer mit „wir“ gemeint ist. Denn der Parteitag beschloß auch, daß das Politbüro künftig gewählt werden soll. Bisher wird es vom Präsidenten ernannt. Das ist schon eine Palastrevolution im Verborgenen.