"Strategie der Sterilisation"

■ Ein Gespräch mit Giulia Tamayo. Die Anwältin arbeitet an einer Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der staatlichen Sterilisationskampagne in Peru

taz: Frau Tamayo, Sterilisationen werden in Peru schon länger durchgeführt. Was hat sich in den letzten drei Jahren verändert?

Giulia Tamayo: Seit 1996 gibt es eine systematische Strategie der Sterilisationen. Der Staat übte Druck auf die Angestellten im Gesundheitswesen aus. Im ersten Jahr gab es noch positive Anreize: Für jede Sterilisation wurden 1996 zwischen drei und zehn Dollar gezahlt, 1997 wurde dann das Quotensystem eingeführt und mit Kündigung gedroht.

Wie funktionierte das?

Von jedem einzelnen Angestellten wurde eine Mindestquote an zu sterilisierenden Personen verlangt, von Krankenschwestern, Verwaltungsangestellten genauso wie von Ärzten. Wir können inzwischen mit Sicherheit sagen, daß die Quoten auf höchster nationaler Ebene eingesetzt wurden. Das beweisen Briefe, mit denen die regionalen Vertretungen des Gesundheitsministeriums dem Personal eine fristlose Kündigung androhen, wenn sie nicht zwischen zwei (KrankenpflegerInnen) und fünf (ÄrztInnen) Personen pro Monat für eine Sterilisation werben.

Und die sonstige Gesundheitsversorgung?

Viele Ärzte haben mir gesgt, daß 1996 und 1997 sämtliche Kapazitäten des Gesundheitssektors für Sterilisationen beansprucht wurden. An anderem fehlte es. Die Gesundheitsposten haben Verhütungsmittel – aber nicht einmal die wichtigsten Medikamente.

Welche Rolle haben internationale Organisationen gespielt?

Die US-amerikanische Entwicklungsbehörde US-AID hat das Gesundheitsministerium bei der Planung des Familienplanungsprogramms beraten und außerdem Schulungen in Sterilisationstechniken angeboten – auch der Weltbevölkerungsfonds der UNO (UNFPA) und die englische Regierung haben technische Unterstützung geleistet. Insgesamt wurde ein Neuntel des Programms von internationalen Geldgebern finanziert.

Wurde das Programm in irgendeiner Form öffentlich angekündigt?

Während der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 war die politische Stimmung in Peru sehr stark von den Konservativen bestimmt, die lautstark gegen die Beteiligung der peruanischen Regierung an der Konferenz opponierten. Dennoch unterzeichnete die peruanische Regierung den Aktionsplan von Kairo – und erhielt dafür durchaus Applaus von vielen Feministinnen. 1995 eröffnete Fujimori dann das „Programm zu reproduktiver Gesundheit und Familienerziehung“ für die Jahre 1996 bis 2000.

Und die Berichte über Zwangssterilisierungen...

...kamen über die Konservativen an die Öffentlichkeit. Das Problem war, daß die feministischen Organisationen diese Informationen als Machtpotential der Rechten behandelten, als ein Thema, von dem nur die Konservativen profitieren könnten. Es kam ihnen überhaupt nicht gelegen, daß es Menschenrechtsverletzungen in einem Programm gab, an dem sie sich beteiligt hatten. Ein Sektor des Feminismus entzog sich deswegen der Frage, wich dem Thema aus.

Hat sich ihre Position inzwischen geändert?

Anfang 1998 waren die Menschenrechtsverletzungen für alle offensichtlich. Die Fälle hatten sich gehäuft. Und es gab klare Beweise über die Quoten. Daraufhin gaben Menschenrechts- und Frauenorganisationen eine Erklärung heraus, in der sie die Sterilisationkampagne als schwere Menschenrechtsverletzung anklagten. Die Regierung reagierte mit einer Korrektur des Programms. Allerdings gibt es noch immer keinen Prozeß einer gesetzlichen Regelung der Familienplanungsdienste – nur neue Vorschriften an das Gesundheitspersonal. Manche feministischen Organisationen haben sich damit zufriedengegeben. Interview: Susanne Schultz