Die Partei behält immer recht

■ Die Hoffnungen auf mehr Demokratie in China haben sich zerschlagen. Xu Wenli und Wang Youcai wollten mit einer unabhängigen Partei der KP China Konkurrenz machen. Wegen „Anstiftung zum Sturz der Staatsgewalt“ müssen sie deshalb für dreizehn und elf Jahre hinter Gitter.

Der Winter ist in China traditionell keine Saison politischer Liebenswürdigkeiten. Zwei Topdissidenten der kleinen demokratischen Szene in der Volksrepublik bekamen das gestern mit aller Härte zu spüren. Xu Wenli, der 55jährige Gulag-Veteran an der Spitze der Bemühungen zur Gründung einer Oppositionspartei, erhielt gestern nach kurzem, nur dreieinhalbstündigen Prozeß in Peking eine 13jährige Haftstrafe. Das ist viel, wenngleich der ehemalige Elektriker und Autodidakt Anfang der achtziger Jahre schon einmal zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, von denen er volle 11 Jahre in zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen der Einzelhaft absitzen mußte. Xu nahm seine Verurteilung am Montag in dem von Polizisten auf Hunderte von Metern abgesperrten Gerichtshof scheinbar gelassen hin.

Überraschen konnte sie niemand, der mit der politischen Prozeßpraxis in China vertraut ist. Ausländische Journalisten waren zu dem Verfahren wie üblich nicht zugelassen. Doch seine Frau und sein vom Gericht bestellter Pflichtanwalt erstatteten hinterher Bericht: „Dies ist politische Verfolgung und kein gerechter Prozeß“, hielt Xu seinen Richtern entgegen, die ihm „Anstiftung zum Sturz der Staatsgewalt“ vorwarfen. Auf die einzelnen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ging der Dissident nicht ein. Vielmehr verweigerte er dem Gericht seine Anerkennung und verzichtete im gleichen Atemzug auf eine Berufung. „Dieses Verfahren ist die Verfolgug der Demokratischen Partei Chinas durch einige Führer der Kommunistischen Partei“, schloß Xu.

Die „Demokratische Partei China“ (DPC) war der Name der großen politischen Projekts, das Xu in diesem Jahr gemeinsam mit seinem sehr viel jüngeren Bündnisgenossen Wang Youcai aus der Teeprovinz Zhejiang starten wollte. Der 32jährige Wang, ein Aktivist der studentischen Demokratiebewegung von 1989, wurde gestern in der ostchinesischen Provinzhauptstadt Hangzhou zu 11 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Wang hatte die neue Partei während des Chinabesuchs von US-Präsident Clinton im Juni öffentlichkeitswirksam bei den Behörden anmelden wollen. Überall in den Regionen des großen Landes hatten sich Xu und Wang in den letzten Monaten Anhänger organisiert. Die Behörden haben inzwischen rund 30 von ihnen inhaftiert. Trotzdem sind in den vergangenen Wochen immer wieder Aktivisten mit Petitionen an die Öffentlichkeit getreten. Zeitgleich mit Wang stand auch der Dissidenten-Veteran Qin Yongmin im zentralchinesischen Wuhan vor Gericht. Das Urteil gegen ihn, mit dem in den nächsten Tagen zu rechnen ist, dürfte ähnlich hart ausfallen. Wichtiger als die Aktivitäten der Demokratischen Partei (DPC) im Land war für die chinesischen Machthaber in Peking freilich etwas anderes: Obwohl die Partei bisher weniger Symphatisanten zählte, als Menschen in einem chinesischen Dorf leben, wurde über sie in den westlichen Medien zuletzt mehr berichtet als über den Großen Bruder, die 55 Millionen Mitglieder starke Kommunistischen Partei Chinas.

Die Dissidentenberichterstattung aus China gehört inzwischen zu den leichteren Übungen der in Peking stationierten ausländischen Korrespondenten und füttert in aller Regel etwa ein Drittel aller westlichen Agenturberichte. Grundlage sind die Nachrichten zweier Menschenrechtsorganisationen, des „Informationszentrum für Menschenrechte und Demokratie in China“ in Hongkong und des Büros „Menschenrechte in China“ in New York. Im Gegensatz zur nutzlosen, weil nicht überprüfbaren chinesischen Staatspresse lassen sich die Meldungen der beiden Aktivisten-Stellen leicht an die westliche Mediensprache anpassen.

Xu und Wang können sich deshalb sicher sein, daß sie im Gefängnis nicht in Vergessenheit geraten. Sie ersetzen im Hinblick auf Alter, Generation und politischen Hintergrund perfekt das berühmte Dissidentenpaar Wei Jingsheng und Wang Dan, das zuletzt auf US- amerikanischen Druck aus der Haft befreit und nach Amerika exiliert wurde. So sind Wei und Xu Zeitgenossen der ersten chinesischen Demokratiebewegung von 1978. Die beiden Wangs trafen sich 1989 in Peking und vielleicht das nächste Mal in Amerika, wenn Washington die nun obligatorsche Freipressung der gestern Verurteilten erreicht. Schon gestern kritisierte die US-Botschaft in Peking die „äußerst harschen Strafen“ gegen Xu und Wang.

Eine rückhaltlose Solidarität mit Xu und Wang ist dennoch schwierig. Denn Xu ist mit dem Alt-Dissidenten Wei verfeindet. Xu wirft dem bislang berühmteren Kollegen vor, sich während seiner Haft eigenmächtig zum „Vater der chinesischen Demokratiebewegung“ erklärt zu haben – einen Titel, der nun in abgewandelter Form auf ihn übergehen könnte. Zumindest könnte man Xu jetzt den „Vater der Demokratischen Partei Chinas“ nennen. Mit etwas Glück käme er damit wie zuvor Wei auf die Kandidatenliste zum Friedensnobelpreis.

Viel ernsthafter als die Eitelkeiten berühmter Gefangener aber sind die Konsequenzen der gestrigen Prozesse für die verbliebene Dissidentenszene. „Xu und Wang sind über eine Grenze geschritten, die sie selbst sehr gut kannten“, meinte der mit Xu und Wei zerstrittene Ren Wanding am Samstag in Peking. Immer wieder ist den DCP-Vordenkern vorgeworfen worden, eigenmächtig und ohne politische Strategie zu agieren.

Das läßt sich für Kommunistenchef Jiang Zemin nicht sagen. Am Freitag hielt er eine Grundsatzrede, in der er ein Viertel der Menschheit darauf einschwor, „das politsche System des Westens niemals zu kopieren“. Georg Blume, Peking