Kommentar
: Meinungsmache leichtgemacht

■ Wie Schröder den Ausstieg aus der Atomkraft inszeniert

Nach Informationen der taz haben sich vier Vertreter der Atomindustrie mit Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Müller auf einen Atomausstieg bereits bis 2002 verständigt. Auf Nachfrage war sich allerdings unsere Quelle plötzlich doch nicht mehr so sicher. Deswegen müssen wir diese Meldung gleich an dieser Stelle wieder dementieren. Schade, denn mit Exklusivinfos ohne Quellenangabe läßt sich so schön Politik machen.

Nicht dementiert haben bisher Spiegel, ZDF und Welt am Sonntag. Sie alle geben vor, genau zu wissen, was vor acht Tagen im Kanzleramt besprochen wurde. Binnen 20 Jahren hat sich Deutschland von der Atomkraft verabschiedet, weiß der Spiegel, darauf hätten sich „Schröder und die Strombosse verständigt“. Restlaufzeiten von „mehr als 20 Jahren“ wurden vereinbart, weiß das ZDF. Man habe sich nur auf einen „Rahmenplan“ für einen Konsens verständigt, berichtet dagegen die Welt am Sonntag. Wobei die meisten Energiekonzerne 40 Vollastjahre verlangten. Das jüngste AKW, Neckar 2, ging 1989 in Betrieb: Also wäre damit das letzte AKW nicht vor 2029 vom Netz. Gab es etwa drei verschiedene Treffen im Kanzleramt?

Natürlich haben Kanzleramt wie Energiekonzerne bislang alle Berichte dementiert. Fragt sich, warum von diesem exklusiven Sechser-Klub, der sich da getroffen hatte, überhaupt jemand plauderte. Fragt sich, wem diese Berichte nützen.

Ein Ausstieg in 20 Jahren, das ist in etwa die Schröder-Linie. Und siehe da, der Spiegel rühmt Schröder für „seine erste wirklich historische Reform“. Die Debatte ist auf die 20 Jahre festgepinnt, da können andere Medien noch soviel über Streit berichten: Spiegel-Leser wissen schon, daß das nur abgesprochenes Theater ist.

Natürlich kann es noch keine endgültige Einigung geben. Dafür fehlten nicht nur die Grünen vor einer Woche im Kanzleramt, sondern auch die Besitzer von gut einem Drittel der deutschen Atomreaktoren. Wahrscheinlicher ist es, daß Spiegel und Welt am Sonntag sich von ihren Lieblingen leichtgläubig informieren oder – wenn man so will – für eine Exklusivgeschichte benutzen ließen.

Im übrigen: Käme es am Ende wirklich zum Ausstieg in 20 Jahren, was etwa 30 Betriebsjahren für die AKWs entspricht, so wäre das keine „historische Reform“, sondern im wesentlichen ein Auslaufenlassen der existierenden Meiler. Hätte es dafür Rot-Grün gebraucht? Matthias Urbach