Cream of Crime
: Ätzende Energien – gebündelt

■ Korrektiv der Geschichte: Der Comic-Zeichner Tardi trifft den Schriftsteller Daeninckx

Manche Dinge passieren zwangsläufig: So mußten eines Tages der Comic-Künstler Jacques Tardi und der Romancier Didier Daeninckx zusammenkommen. Tardis Schaffen kreist seit den 70er Jahren obsessiv um den „Großen Krieg“, den Ersten Weltkrieg, für ihn das Initial-Skandalon des Jahrhunderts. Mit Werken wie „La fleuer au fusil“, „La véwritable histoire du soldat inconnu“ oder „C'était la guerre de tranchèes“ kratzte er so heftig und mit solcher künstlerischer Kraft am Glorienschein der Grande Nation, daß seine radikal-pazifistischen Einmischungen in den Balkankrieg unübersehbar wurden. (Damit ist er übrigens der zweite Comic-Künstler, der zu diesem Thema entscheidende Kommentare geliefert hat: Der andere ist sein „Vorbild“ Joe Kubert, dessen Album „Fax aus Sarajewo“ dank seiner künstlerischen und menschlichen Substanz jede Art Handkesches Geschwätz blamiert.)

Didier Daeninckx hingegen ist der große Nestbeschmutzer in Prosa. Sein Romanwerk seit den frühen 80er Jahren läßt sich als eine Art „Gegengeschichte“ Frankreichs lesen, wider die offiziellen und bequemen Mythen des Landes.

Kollaboration, Algerien und die unendlichen Skandale innenpolitischer Art sind die thematischen Vorlagen für seine Romane mit dem bösen Blick und der gnadenlosen Recherche. Es handelt sich dabei durchweg um Kriminalromane, mit denen er stets schneller und gründlicher zur Sache ging als die nachbearbeitenden öffentlichen Diskussionen und die entsprechenden Beiträge der „Hochkultur“.

In Tardis Adaption von Daeninckx' Roman „Le Der des ders“ aus dem Jahr 1984, mit dem deutschen Titel „Den Letzten beißen die Hunde“, sind beide ätzende Energien wunderbar gebündelt. Die Rahmenhandlung spielt vom 6. bis zum 14. Januar 1920. Dann explodiert eine Handgranate, die Arroganz der Macht hat gesiegt. Sie wird das, so deutet Tardi damit an, noch eine ganze Weile tun. Auch weil sie für ihren Sieg die Hilfe von der ganz falschen Seite bekommt. Auch das ein Thema von Daeninckx, den Tardi liebevoll als Humanité-Redakteur eingebaut hat.

Daeninckx hat sich in seinen Büchern immer geweigert, die diversen Schweinereien der orthodoxen Linken zu unterschlagen. Das macht ihn bis zum heutigen Tag nicht gerade zum Darling dieser Kreise.

Die Binnenhandlung hat mit einem eher unbekannten Vorkommnis im Ersten Weltkrieg zu tun: An der Westfront gab es ein russisches Expeditionskorps. Im September 1917 meuterten diese Truppen, wählten Räte und setzten ihre Offiziere ab. Die französische Armee kartätschte den Aufstand nieder und preßte die Überlebenden in Strafbataillone. Davon möchte man nach dem Krieg natürlich nichts mehr wissen – hier setzt die Story an.

Die berühmten Grautöne Tardis sind harten Schwarzweißkontrasten gewichen, was sich technisch daher erklärt, daß der Strip zunächst auf Zeitungspapier erschienen ist. Aber obwohl die Hauptfigur, der Privatdetektiv Eugène Varlot (im Roman: Griffon), ein metaphorisch grau in grau angelegter Charakter ist, machen die harten Kontraste hier Sinn: Varlots Gegenspieler, Oberst Fantin, der das Massaker angerichtet hat und sich später, als er es mit zurückschießenden Deutschen zu tun bekommt, in die Hosen scheißt (als running gag verbergen sich Toiletten hinter allen Türen von Fantins Haus), ist die Schweinebacke par excellence. Im harten Kontrast werden die Fronten ganz deutlich.

Der Comic als ästhetisch opulenter, spannender Krimi und damit als funktionierendes Geschichtskorrektiv. Was will man mehr? Thomas Wörtche

Didier Daeninckx/Jacques Tardi: „Den Letzten beißen die Hunde“ („Le Der des ders“, 1997). Dt. von Martin Budde. Zürich: Editon Moderne 1998. 80 Seiten, 29,80 DM