■ Schlagloch
: Neues vom rot-grünen Orchester Von Klaus Kreimeier

„Der Schauspieler muß stets bedenken, daß er um des Publikums willen da ist.“ Johann Wolfgang von

Goethe, §38 der „Regeln

für Schauspieler“

Sorgfältig sezierte am letzten Samstag die Internet-Ausgabe von CNN das komplizierte Geflecht deutscher Widersprüche angesichts der amerikanisch-britischen Luftangriffe auf den Irak. Der Bundeskanzler sei, Stimmen aus seiner Umgebung zufolge, ein bißchen „unhappy“, daß Clinton versäumt habe, ihm seine Pläne mitzuteilen; ein kurzer Anruf unter Freunden hätte ja schon ausgereicht. „Ein deutscher Regierungssprecher“ habe diese Version in den Bereich der Spekulation verwiesen; Regierungssprecher Uwe- Karsten Heye wiederum habe versichert, daß Tony Blair Schröder informiert habe. Und noch am Freitag habe Schröder selbst jede Meinungsverschiedenheit in der Irak-Frage dementiert.

Ganz anders Außenminister Fischer, selbigen Tags: Der habe betont, Deutschland biete der Mission gegen Hussein weder finanzielle noch logistische Unterstützung an. Die Erklärung dafür lieferte, aus der Sicht von CNN, Verteidigungsminister Scharping nach: Warum auch – die Deutschen seien ja um gar keine Unterstützung gebeten worden. Aber Die Welt, in der das alles zu lesen gewesen sei, habe eben auch jene Quellen aus Schröders Umfeld zitiert, denen zufolge der Kanzler unzufrieden sei über die Art und Weise, in der man ihn in Kenntnis gesetzt oder vielmehr in Unkenntnis gelassen habe. Der Kreis schließt sich – die Deutschen sind und bleiben ein rätselhaftes Volk.

Konfusion in der deutschen Außenpolitik? Chaostruppe Schröder, wie gehabt? Es sieht eher nach dem Gegenteil aus, nach einer perfekt ausbalancierten und vielstimmig orchestrierten Show, in der jede Stimme ihren exakt zugewiesenen Part übernimmt und peinlich darauf achtet, nicht den Einsatz zu verpassen.

Die neue Regierung hat, außenpolitisch, Kontinuität versprochen und damit nur eine weltpolitische Geschäftsordnung ratifiziert, in der auch alle anderen auf Kontinuität setzen: Clinton, der in Sachen Irak die Politik von Bush fortsetzt, einen Schurken zu jagen, ohne ihn fassen zu können bzw. zu wollen; Rußland und China, die mit ihrem notorischen Veto dafür sorgen, daß die USA den Weltsicherheitsrat umgehen und die UN ruinieren – und schließlich Frankreich, das ebenso kontinuierlich an der Chimäre der Grande Nation festhält und seit den Tagen von Asterix seinen eigenen, eben französischen Weg verfolgt. Rot-Grün ordnet sich in dieses Kontinuitätsmuster ein – Fischer plus Scharping ergeben bis dato nichts anderes als Kinkel. Aber in der Verlautbarungsdramaturgie geben sie zu erkennen, daß der Weg der Kontinuität nur als Eiertanz zu bewältigen ist, der unter Umständen das vorhandene Porzellan in Gefahr bringt oder, im Falle des Gelingens, zum Ballett gerät.

Ich will nicht übertreiben: Von Grandezza und Spitzentanz ist diese Regierung noch weit entfernt. Aber inzwischen schält sich die Grundstruktur von Schröders Methode allmählich heraus – eine Methode, die sich auf eine gute Verteilung der Haupt- und Nebenrollen, eine ausgeklügelte Bühnenbeleuchtung und nicht zuletzt auf die Kunst des Apart-Sprechens verläßt, also auf die Technik, beiseite gesprochene Bemerkungen so genau, das heißt so vage zu placieren, daß schwer zu beurteilen ist, ob sie zum regierungsamtlichen Bulletin oder in den Papierkorb gehören.

Dafür braucht Schröder, fußballerisch gesprochen, jeweils „Doppelspitzen“, die sich gezielt mißverstehen, um sich anschließend gegenseitig zu interpretieren und so den Eindruck zu erwecken, diese Regierung habe tatsächlich einen „Diskurs“ über die wesentlichen Fragen der Nation entfesselt und die bleierne Inhaltsleere der Kohl-Ära überwunden. Der Eindruck ist gar nicht mal falsch: Seit den Koalitionsvereinbarungen heischt eine debattenfreudige, von den Talkshows inspirierte Neuerer-Clique namens rot-grüne Koalition nach Applaus.

Die Doppelspitzen funktionieren noch nicht perfekt, aber man kann sagen, daß sie erfolgreich trainieren. Joschka Fischers Vorstoß in der Frage der Atomwaffenstrategie der Nato brachte Scharping in Washington fast zum Stolpern, zum Glück hat er sich noch gefangen und rechtzeitig seine Rolle memoriert. Schröder hat sich in dieser Sache deutlich herausgehalten: Das Duo Fischer/Scharping soll sich einspielen, bis es so gut harmoniert, daß auch Rochaden möglich sind. Beide tragen ja erwartete und auswendig gelernte Texte vor, doch erst, wenn Rudolf sagt, was man von Joschka erwartet (und umgekehrt), besteht Aussicht, daß unsere Außenpolitik eine publikumswirksame Kurve ins Entertainment einschlägt. Es wird inhaltlich bei Kinkel bleiben, aber immerhin wird uns die Kinkel-Linie in Form von Pirouetten serviert.

Die Doppelspitze Trittin/Müller hingegen wird als – durch den Charme der beiden Kontrahenten sanft abgefederter – Antagonismus präsentiert und verspricht jenen Showdown, den die Atomindustrie von ihrem Wirtschafts- und die grüne Basis von ihrem Umweltminister erwartet. Der Kanzler wird es nicht dazu kommen lassen, sondern mal moderat eingreifen, mal eingreifend moderieren, bis sich die Frage des Ausstiegs aus der Kernenergie von selbst erledigt hat, weil die AKWs inzwischen abgeschaltet, die Schadenersatzforderungen vom Tisch und auch die letzten grünen Fundis der Sache müde geworden sind.

Für den Diskurs bei Sabine Christiansen und Stefan Aust jedenfalls ist mindestens für eine Legislaturperiode gesorgt – nicht zuletzt durch Kabinettsmitglieder, die Schröder vorerst als Solisten auf den Parcours geschickt hat: Innenminister Schily zum Beispiel, ein Peter Schlemihl, der seinen Schatten an seinen Vorgänger verkauft hat, oder Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die sich wie keiner ihrer Vorgänger rühmen kann, noch vor Ablauf der Schonfrist die Ärzte auf die Straße und ihren Verbandspräsidenten zu gemeingefährlichen Äußerungen getrieben zu haben.

Der Tumult an der Rampe drängt eine Zeitbombe vorerst in den Bühnenhintergrund: den Dissens, der in der einzigen wirklich heiklen Doppelspitze Schröder/ Lafontaine angelegt ist und zur Entladung kommen wird, wenn die ökologische Steuerreform schiefgehen sollte. Also alles nur Theater? Richtig ist, daß schon die Kohl-Regierung von den Gesetzen der Mediendemokratie eingeholt wurde und an ihnen letztlich scheiterte – ein Debakel, dem Schröder durch eine tiefgestaffelte Anordnung des Personals, durch wechselnde Rollen und „special guest“- Auftritte wie den des international angesehenen Kulturbeauftragten Naumann vorzubeugen sucht.

Ein Strukturdenken ist hier zu erkennen, ein Formprinzip, das man nicht schon darum inhaltslos schelten muß, weil es sich dem Design von „Talk im Turm“ anschmiegt. Medienkompetenz hilft, Krisen zu überstehen. Eine ganz andere Frage ist, ob sie reale Probleme zu lösen vermag.