Palästinenser fürchten eine Radikalisierung

Glücklich sind die Palästinenser nicht über die Aussicht auf israelische Neuwahlen. Zwar hat ihr schärfster Gegner, Benjamin Netanjahu, eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen. Dem Friedensprozeß wird dies aber erst einmal einen herben Dämpfer versetzen. Der palästinensische Verhandlungsführer Saeb Erekat rechnete gestern damit, daß mehrere Monate ins Land gehen würden, ehe eine israelische Regierung zu weiteren Verhandlungen in der Lage sei.

Die Umsetzung des Wye-Abkommens und damit einen weiteren Teilrückzug aus den besetzten Gebieten hatte Israels Ministerpräsident allerdings schon vorher ausgesetzt. Nach der Abstimmung in der Knesset sind die Aussichten nun noch geringer, daß weitere palästinensische Gefangene freigelassen werden und Land zurückgegeben wird. Der palästinensische Justizminister Freih Abu Medein: „Das ist Israels Demokratie, die nur für das eigene Volk gilt. Den Preis zahlen die Palästinenser.“

Zwar würden die Palästinenser sich weiterhin in Geduld üben, erklärte Abu Medein, doch sei die Grenze der Frustration erreicht. Eine solche Situation schaffe das Klima, in dem Hamas-Attentäter wieder zu Attentaten übergehen könnten. Die Autonomiebehörde werde alles tun, um das zu verhindern. „Wir suchen nach guten Beziehungen mit dem israelischen Volk“, sagte Abu Medein.

Wiederholt haben die Palästinenser Netanjahus Bedingungen zurückgewiesen, um den Friedensprozeß fortzuführen. Dazu gehört der Verzicht auf eine einseitige Proklamation eines palästinensischen Staates im Mai kommenden Jahres, die Absage der Forderung nach Ost-Jerusalem als palästinensischer Hauptstadt sowie die weitere Inhaftierung politischer Gefangener, an deren Händen angeblich Blut klebt.

Der palästinensische Verhandlungskünstler Erekat erklärte kürzlich auf einem Symposion in Herzliya, die gegenwärtige politische Entwicklung „zerstört alles, was bisher erreicht wurde“. Er sei persönlich sehr besorgt über das, was am 4. Mai geschehen werde, wenn der Oslo- Prozeß auslaufe. „Wir kennen Netanjahus Spiele“, sagte Ereikat. „Aber unsere Differenzen mit Netanjahu laufen nicht darüber, ob es einen palästinensischen Staat geben wird oder nicht, sondern darum, wie groß er sein wird und wo seine Grenzen liegen werden.“

Generell üben sich die Palästinenser bislang in Zurückhaltung, um ihr verbessertes Verhältnis zu den USA nicht aufs Spiel zu setzen. Palästinenserpräsident Arafat wandte sich in Briefen an US- Außenministerin Madeleine Albright und forderte eine sofortige Umsetzung des Wye-Abkommens. Die palästinensische Autonomiebehörde befürchtet, daß die Aussetzung des Wye-Abkommens und die Verzögerung eines weiteren israelischen Rückzugs in Verbund mit den Angriffen auf den Irak zu einer gewalttätigen Eskalation an der Basis führen werden.

Arafats eigene Partei, die al- Fatah, hatte in den vergangenen Tagen wiederholt zu Demonstrationen und Protesten gegen die Angriffe der USA und Großbritanniens aufgerufen. Die Autonomiebehörden waren so weit gegangen, Rundfunksender und Fernsehanstalten zu schließen, um eine Berichterstattung über pro-irakische Kundgebungen zu unterbinden.