Mit hundert Bibeln auf den Mond

Religion und Wissenschaft sind keine unvereinbaren Gegensätze. Viele Forscher verfolgen ihre Ziele mit religiösem Eifer. Die auf Rationalität aufbauende Wissenschaft hat den Glauben an das Übernatürliche nicht ganz verdrängt  ■ Von Wolfgang Löhr

Die Unvereinbarkeit scheint klar auf der Hand zu liegen. Die moderne Wissenschaft und der Glaube stehen sich so feindlich gegenüber wie Feuer und Wasser. Hier der technische Fortschritt, der nur der Vernunft und dem wissenschaftlichen Beweis verpflichtet ist. Dort der Glaube an ein höhere Macht, die unsere Geschicke lenkt und dem Leben erst einen Sinn gibt. Doch dieser Widerspruch trügt: Denn die Wissenschaft ist nach wie vor verwoben mit geheimen Träumen und irrationalen Verheißungen.

Die technische Vernunft, die im 18. Jahrhundert ihren Siegeszug antrat, hat die Religion keineswegs verdrängt. „Sie sind weder Ergänzungen, noch Gegensätze, noch stellen sie aufeinanderfolgende Stufen der menschlichen Entwicklung dar“, schreibt der Historiker und Professor an der Universität von Toronto, David Noble, in seinem Buch „Eiskalte Träume“. „Sie sind miteinander verquickt und waren das schon immer.“

Noble zeigt anhand zahlreicher Beispiele, daß in vielen Wissenschaftsinstitutionen Forscher in der Führungsetage sitzen, die mit religiösem Übereifer ihre Ziele verfolgen. „Nirgendwo sonst auf dieser Welt“, so Noble, „ist diese innige Verquickung von Religion und Technologie deutlicher sichtbar als in den USA.“ Hier beschreibt er vor allem Forscher, die sich eher unbewußt an biblischen Bildern orientierten, wie etwa Robert Oppenheimer, der in Los Alamos den Bau der ersten Atombombe leitete. Oppenheimer gab dem ersten Test einen religiösen Namen: Trinity, Dreieinigkeit. Für Oppenheimer bezeichnete die Bombe sowohl einen Anfang als auch ein Ende: „Eine Todeswaffe, die aber auch die Menschheit erlösen könnte.“

Als einen besonderen Hort strenggläubiger Menschen hat Noble die US-Raumfahrtbehörde NASA ausgemacht. Es sei kein Zufall gewesen, daß die ersten amerikanischen Astronauten alle überzeugte Protestanten waren. In der frühen Phase der bemannten Raumfahrt wurde diese Tatsache noch offiziell hervorgehoben, „um Amerikas frommes Bemühen von demjenigen seines sowjetischen Rivalen mit seinem Credo des ,gottlosen Kommunismus' deutlich abzugrenzen“, schreibt Noble.

Und als die sowjetischen Astronauten erklärten, sie hätten im Weltraum nirgends Gott angetroffen, wurde bei der NASA die Forderung laut, keine Astronauten mehr aufsteigen zu lassen, die für das Übersinnliche nichts übrig hätten. Bis zum Abschluß der Raumfahrtprogramme Apollo und Skylab waren neunzig Prozent der ausgewählten Astronauten bekennende Christen. Schon bei dem ersten Weltraumprogramm der USA ging es nicht nur um ein technologisches Wettrennen, sondern auch um ein religiöses.

Wernher von Braun, der für die Nazis noch die raketenbetriebene Langstreckenwaffe V2 entwickelt hatte, stieg nach dem Krieg in den USA schnell in eine Führungsposition bei der Army Ballistic Missile Agency (ABMA) auf. Dort wurde der erste bemannte US-Raumflug vorbreitet.

Auf die Frage, warum man einen Menschen ins All schicken müsse, antwortete Braun, der sich in seiner neuen Heimat als „wiedergeborener Christ“ bekannte: Es sei Gottes Absicht gewesen, „seinen Sohn in die anderen Welten hinauszuschicken, um auch ihnen das Evangelium zu bringen“. Auch wenn Braun in den USA an der Entwicklung von atomaren Langstreckenraketen beteiligt war, hielt er beharrlich daran fest, daß die Eroberung des Weltraumes die Erlösung der Menschheit sei.

Braun hatte bei der ABMA die volle Unterstützung seines Vorgesetzten, des Generals John Medaris, der, nachdem er aus der Armee ausschied, erst Laienprediger und dann Priester wurde. Auch bei der später gegründeten NASA fanden die aktiven Gläubigen offizielle Unterstützung. Der Physiker James Fletcher, der 1971 die Leitung der NASA übernahm, war ein Mitglied der „Kirche der Heiligen der Letzten Tage“ (Mormonen). Dem Einfluß Fletschers ist es auch zu verdanken, daß die NASA Projekte zur Suche nach Außerirdischen initiierte. Als Mormone glaubte er an die Existenz von einer Vielzahl von Welten.

Bei fast allen bemannten Raumfahrten wurden christliche Symbole mit ins All genommen. Bei der ersten Mondlandemission, Apollo 11, bat Astronaut Edwin Aldrin, kurz nachdem die Mondfähre im „Meer der Stille“ aufsetzte, die Kontrollstation um eine kurze Funkpause. Bevor er und Neil Amstrong dann als erste Menschen den Mond betraten, packte Aldrin ein winziges Weinfläschchen aus, einige Hostien und einen Kelch. Aldrin nahm die Kommunion zu sich und las dazu aus der Bibel.

In der darauf folgenden Mission nahm der Astronaut Pete Conrad eine christliche Kreuzesflagge mit zum Mond. Seine Kollegen hatten Bibeln dabei und einen Kelch. Die Astronauten von Apollo 13, die bei einer Explosion der Sauerstofftanks getötet wurden, hatten gar Hunderte von Bibeln auf Mikrochips mit. Auffällig ist auch, daß fast alle Weltraumraketen mit Götternamen bezeichnet wurden: Thor, Titan, Mercur, Apollo, Saturn. Erst in den letzten Jahren änderte die NASA ihre Namenspolitik.

Zur gleichen Zeit, als Mitte der fünfziger Jahre die Eroberung des Weltalls vorbereitet wurde, gelangen auch die ersten Versuche zur Entschlüsselung der Erbsubstanz. Aufbauend auf umfangreiche Vorarbeiten von Kollegen konnten im Jahre 1953 der Molekularbiologe James Watson und der Physiker Francis Crick die Struktur der DNS (Desoxyribonukleinsäure) aufklären. Sie entdeckten, daß die DNS die Form einer Doppelhelix habe. Der Ausspruch von Crick: „Wir haben das Geheimnis des Lebens gefunden“, gilt heute noch als ein Dogma der Biologie. Crick meinte später gar, mit der Struktur der DNS den Beweis für die Existenz Gottes gefunden zu haben. Binnen kurzer Zeit wurde die DNS zur Grundlage des Lebens schlechthin ernannt.

Schon lange zuvor hatte der Physiker Erwin Schrödinger, der wichtige Impulse für die Entdeckung gegeben hatte, ehrfürchtig verkündet, die physikalische Konstruktion der Gene sei „das großartigste Meisterwerk, das Gott im Laufe der Entwicklung der Quantenmechanik zustande gebracht hat“.

Noch bevor die notwendigen molekularen Werkzeuge entwickelt waren, um manipulierend in die Erbsubstanz einzugreifen, phantasierten führende Wissenschaftler bereits von neuen Lebewesen, die sie jetzt, der Schöpfungsgeschichte nacheifernd, selbst kreieren könnten. „Von der Evolution her gesehen, ist der normale Mensch in einer Sackgasse gelandet“, behauptete der Brite J. D. Bernal, der als Pionier der Röntgen-Kristallographie mit dazu beigetragen hatte, die Molekularbiologie besser zu verstehen.

Mit den neuen Erkenntnissen hofften die Biologen, sich einen uralten Wunsch erfüllen zu können: Sie wollten die angeblichen Fehler der Natur wieder ausbügeln. Die Gentechnologie wurde zur neuen Leitwissenschaft. Mit ihr konnten die Forscher erstmals in die Blaupausen von Lebewesen eingreifen.

Die DNS selbst wurde zur Ikone erhoben, die Gentechnologie zum Werkzeug, ohne die die Menschheit zum Untergang verurteilt sei. Die Gentechnologie soll die biblischen Verheißungen Realität werden lassen: „Frei von Krankheit und Sorge jeder Art wird das auserwählte Volk in Glück und Freude leben.“

So hofft zum Beispiel Craig Venter, der mit seiner Firma Celera Genomics in drei Jahren das gesamte menschliche Genom entschlüsselt haben will, daß „irgendwann die Behandlung von Krankheiten hoffentlich überflüssig sein wird“. Und Francis Collins, der Leiter des Human Genom Projects in Los Alamos, hält seine Arbeit sogar für eine Form des Gottesdienstes.

Wolfgang Löhr, 43, gelernter Elektromechaniker und Biologe, ist seit mehr als fünf Jahren Wissenschaftsredakteur bei der taz

Literatur: David Noble – Eiskalte Träume, Herder/ Spektrum, Freiburg 1998, 320 S., 44 Mark