Alles inklusive im Hotel Mama

Alle Jahre wieder kommt Leben in die Provinz: Kind und Kegel setzen sich in Bewegung, um die Feiertage familiär zu gestalten. Zwischen Selbstgebackenem und Hausgemachtem läßt es sich wunderbar im Lehnstuhl regenerieren, die Landschaft bleibt außen vor. Es sind Ferien mit bekanntem Personal. Erfahrungen  ■ von Christine Berger

Das Leben kann so einfach sein: Ein paar freie Tage stehen vor der Tür, man setzt sich ins Auto und fährt los. Das Ziel ist bekannt, gebucht hat man schon vor langer Zeit. Anruf genügt, Ankunft bestätigt, fertig. Daß die Adresse schon belegt ist, passiert selten. Selbst für Kurzentschlossene findet sich meist noch ein Plätzchen.

Und weil man den Ort zur Genüge kennt, muß man sich auch nicht auf die Reise vorbereiten. Der Nachteil: Dort, wo man ankommt, regnet es meistens, eigentlich immer. Die Landschaft ist langweilig, keine großen Veränderungen zwischen Deich und Mittelgebirge. Schnee zu Weihnachten, gab es das jemals?

Vielleicht in Kindertagen, aber da war sowieso alles viel besser. So quetschen wir uns auf die Autobahn, die Strecke fährt sich wie im Schlaf. Selbst die Staustellen sind bekannt, kurz vor Hamburg wird es eng, dann wieder hinter Bremen. Auf den letzten hundert Kilometern Richtung Nordsee gehört die Autobahn uns. Rudi, mein Begleiter, ist jetzt schon zum fünften Mal dabei, und auch das Töchterchen im Fond bricht nicht mehr in Erstaunen aus, wenn die Landschaft plötzlich von Kolonien häßlicher Windräder verschandelt wird. Wichtiger sind die Kühe und Pferde auf dem platten Ackerland.

Die Ankunft gestaltet sich wie immer herzlich. Das Personal steht schon in der Tür und winkt. Bereitwillig werden Koffer und Körbe abgenommen, das Töchterchen begrüßt die Köchin des Hauses mit einem „Hallo Oma“, der Hausmeister darf Opa genannt werden. Wir schlafen wie immer im ehemaligen Kinderzimmer. Zum Empfang gibt es Krabben und Schwarzbrot, schließlich sind wir an der Nordsee. Opa entkront das Jever Pilsener, für die Dame gibt es ein Glas Rheinhessen von der besseren Sorte.

Später setzt die wohlverdiente Trägheit ein. Nach Monaten des beruflichen Strebens nach Geld und Anerkennung verschwinden sämtliche Motivationen, auch nur einen Finger zu rühren. Wozu auch? Morgens beim Frühstück ist der Tisch schon gedeckt, die Zeitung liegt bereit, selbst ein weiches Ei gehört zum Service. Draußen pladdert der Regen gegen die Scheiben. Selten gibt es Urlaubstage, an denen die Umgebung eine so untergeordnete Rolle spielt. Im Lesesessel bleibt die Welt außen vor.

Nur Rudi hat das Interesse an der Umwelt noch nicht ganz aufgegeben. Er möchte unbedingt einen Spaziergang zum Ölhafen machen, „wegen der spacigen Atmosphäre“, wie er sagt. Widerwillig trete ich den Gang an die Frischluft an. Draußen weht sie böenweise um die adretten Häuser, zerzaust die wohlgeschnittenen Hecken und macht sich grausam über das Heidekraut in den Beeten her. Regenschwere Wolken segeln vorüber, einen Schirm mitzunehmen wäre zwecklos. So borgen wir uns Gummistiefel und Ostfriesennerze von unseren Gastgebern und ziehen los.

Weit ist es nicht bis in das Grodengebiet mit Deutschlands größtem Ölhafen. Ein kurzer Weg bis zum Schlafdeich, und von dort sieht man schon die orange leuchtenden Straßenlaternen, die den einsamen Weg entlang der Öltanks markieren. Bis zum Meer sind es kaum zwei Kilometer, einzige Abwechslung: einer der Tanks ist mit Graffiti besprüht, ein Jugendprojekt der Stadtverwaltung. Dort, wo niemand hinschaut, dürfen die Kids also malen.

An der Pier herrscht tote Hose. Gerade mal ein mickriger Tanker dümpelt an der riesigen Brücke. Früher war der Ölhafen das Eldorado internationaler Supertanker, jetzt zieht eher das häßliche Kohlekraftwerk nebenan die Blicke auf sich. Vor Jahren starben hier die Schafherden auf mysteriöse Art, angeblich wegen dem niedergehenden Ascheregen aus dem Schornstein. Dabei galt das Werk lange Zeit als schadstoffärmste Energiequelle der Republik.

Der Rückweg führt uns an der städtischen Mülldeponie vorbei. Rudi ist begeistert von soviel Industriebrache. „Hier sollte man mal einen Endzeitkrimi drehen“, jubelt er. Das sagt er jedesmal. Früher war das meine Joggingstrecke, und ich frage mich, ob ich dadurch irgendwelche seelischen Schäden davongetragen habe.

Wieder zurückgekehrt, wartet schon dampfender Tee auf uns. Die nächsten Gäste sind bereits eingetroffen. Fred aus Frankfurt, Manager, samt Frau und Kind sitzt bereits und mampft Plätzchen. Da die gute Fee des Hauses gebürtige Schwäbin ist, sind die Backwaren von besonders guter Qualität und nennen sich Ausstecherle oder Strohhütle. Fred ist mit dem Zug gekommen, erste Klasse, weil sonst kein Platz mehr frei war. Immerhin muß er in die kommenden Tage nicht viel investieren.

Und so fliegen die Tage dahin. Programmpunkte bestehen in erster Linie aus Essen und Schlafen. An Heiligabend geht man gemeinsam zur Kirche und futtert sich hernach durch Würstchen mit Kartoffelsalat. Geschenke werden ausgetauscht, die Kinder sind für den Rest der Zeit mit ihrem neuen Besitz beschäftigt. Wir Großen stellen uns verdauungsblöd. Nur Rudi hat wieder mal Nägel unterm Po.

Fragt, ob wir nicht den Tag der offenen Tür bei der Marine nutzen wollen, „einmal den Pappkameraden auf die Finger zu schauen“. Da es gerade einmal nicht regnet, lasse ich mich überreden. Wir leihen uns Fahrräder, ziehen die Öljacken über und strampeln uns ab. Bis zur vierten Einfahrt, dem Marinehauptquartier, sind es kaum zwei Kilometer, aber der Wind läßt uns nur schleichenderweise vorankommen. So ist es immer in dieser Stadt.

Am Portal des Marinestützpunktes ist eine Menge los. Hunderte von Familien drängeln sich am Kai, um einen Blick auf die vertäuten Kriegsschiffe zu werfen. An einem Campingwagen werden Bundeswehrplakate verteilt, außerdem hübsch aufgemachte Werbeprospekte mit knackigen Jungs und strahlenden Panzern. Den angebotenenen Glühwein nehmen wir gerne, damit läßt sich das Szenario besser ertragen.

Wir machen eine Rundfahrt mit einem Marineschlepper, der Kapitän erklärt die Funktionen der einzelnen Schiffe vom Minensucher bis zum Zerstörer. Ringsum rheinelts und schwäbelts, daß es eine Qual ist. Daß an diesem Ort Familien Ferien machen und etwas dafür bezahlen! Sie kommen, und danach kommen sie sogar immer wieder, wegen der guten Luft, wie es heißt. Müssen die Regentage mit Besuchen in Heimatmuseen überbrücken und sehen dabei mißmutig aus. Aber durchatmen kann man, das läßt sich kaum verhindern.

Kurz vor unserer Heimreise will Rudi noch das neue U-Boot besichtigen, das zur Besichtigung im Hafen liegt. Doch diesmal bleibe ich stur. Schließlich bin ich hergekommen, um mich zu erholen. Die letzten Stündlein im Lehnsessel, Rouladen und Spätzle verdauend – wann wird es das wieder geben? Spätestens in einem Jahr, wenn die Gastgeber uns bis dahin nicht satt haben. Aber das steht nicht zu befürchten. Schließlich habe ich ab und zu die Geschirrspülmaschine ausgeräumt.

Christine Berger, 33, freie Autorin, lebt in Berlin