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Keine Zeit für die kalte Heimat

Ich mag Weihnachten, sehr sogar. Was ich nicht mag, sind Weihnachtstage, die sich anfühlen wie ein Kochwaschgang nebst Spülen und Schleudern. Wenn ich dabei die Wäsche bin. Deshalb wollte ich auch nie Heiligabend mit meinem Verleger verbringen.

Es war letztes Weihnachten. Das ganze Jahr über hatte ich an einem äußerst kniffligen Buchprojekt gesessen, hatte alle manischen und depressiven Phasen des Autorenwahnsinns durchschritten, meine Lektorin in eine Selbsthilfegruppe getrieben und meinen Freund Trost beim lieben Herrn Jesus suchen lassen.

Bis zu den Feiertagen sollte das Manuskript druckfertig sein, um zwischen den Jahren in die Produktion zu gehen. Kein Problem, und dann kommt Weihnachten. Dachte ich. Mit Karpfen und Makowki, diesen schlesischen Mohnsemmeln, die traditionell nur zu Weihnachten gegessen werden und unserer Familie mit einer Handvoll anderer Erinnerungen an die kalte Heimat geblieben sind.

Schon Anfang Dezember sah es nicht gut aus. Ich hatte bereits zwei Monate ohne einen freien Tag hinter mir. Statt durch Geschenkewelten zu schweifen – und ich habe viele Menschen zu beschenken –, zankte ich mich mit dem Verlagsanwalt um Formulierungen und mit meiner Lektorin um Literaturnachweise herum.

Ich war auch nicht nett zu meiner Mutter. Sie hält stets großzügige Gaben für ihre fünf Sprößlinge unterm Tannenbaum bereit – doch das mindeste, was sie erwartet, sind ein paar Hinweise, eine Art Wunschzettel, was es denn bitte schön sein soll.

Ich hatte keine Zeit für Wunschzettel. Und auch für einiges andere nicht. Ich ließ meine Mutter alle Geschenke für meine Geschwister besorgen. Dann endlich Heiligabend. Und ich saß bis in den späten Nachmittag mit meinem Verleger über dem Manuskript.

Er ist ein reizender Mensch. Aber Weihnachten? Abgenervt, ausgelaugt und in einer Stimmung, mit der man jeden Familienkrach anzettelt, stürmte ich zum Weihnachtsessen. Ruhe, vielleicht zwei Stunden lang. Ich hatte gerade den dritten Löffel Makowki im Mund, da klingelte das Telefon. Meine Lektorin hatte da so eine Passage, die sie nicht so ganz verstand... Bascha Mika

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