Grog für vereiste Seelen in klammer Stadt

■ Das neue Berliner Label Mint Grün Platten möchte ähnliches schaffen wie Mute in England

Sehr unterschiedlich können die Beweggründe sein, sich selbständig zu machen. Die einen haben eine brandaktuelle Idee, auf der sie verkaufstechnisch den Daumen behalten wollen. Die nächsten möchten einfach nur mal Chef sein. Und wieder andere machen sich mit Existenzgründungskrediten unglücklich, weil sie den Mangel zu einer Stärke umkrempeln wollen. Letztere sind in der Regel diejenigen, die eine eigene Plattenfirma gründen. Weil sonst niemand ihre Musik vermarkten will, bringen sie sie einfach selbst unters Volk, meist weniger als mehr gewinnbringend. In Kleinstauflagen und je mehr verschiedene, desto lieber. Eher euphemistisch ist dann oft von Selbstbestimmung die Rede.

Daß dadurch ein Durcheinander entsteht, in dem sich oft nur Eingeweihte auskennen, findet Hans Tomato ganz wunderbar und überhaupt nicht verwirrend. In der DDR, wo er aufgewachsen ist, gab es zwar eine verschworene, sehr familiäre und überschaubare Szene, einen musikalischen Untergrund, der sich vollständig anwesend alle paar Wochen bei Konzerten traf – sein Label Mint Grün Platten hätte er damals aber nicht gründen können.

Wie bei anderen Plattenfirmen dieser Art können die Betreiber von Mint Grün schon froh sein, wenn sich die Platten gerade mal so selbst finanzieren. Selbst bezeichnen sie sich als gestrandete Akademiker und illusionsbeladene Sozialhilfeempfänger. Um auch ganz miserabel laufende CDs zu finanzieren, hat man zusätzlich eine Konzertagentur gegründet. Bands, die bei Mint Grün ihre Platten machen, führen einfach einen Teil ihrer Gage ans Label ab. Dafür ist ihnen Einsicht in die Bücher gewährt – und die vorläufige Garantie, daß niemand an ihrer Musik verdient, außer sie selbst.

„Man müßte sowas Ähnliches schaffen wie früher Mute in England“, träumt Hans Tomato charmant größenwahnsinnig und selbstironisch vor sich hin, bevor er loszockelt, um sich durch Weihnachtsliederspielen was dazu zu verdienen. „Aber vorher müssen wir noch einen guten Vertrieb finden, der sich nicht daran stört, daß unsere Musik nicht in eine Schublade zu stecken ist.“

Wirklich ist die Verzahnung der einzelnen Gruppen bei Mint Grün keine musikalische, sondern eher die der Herzensbildung. Alle lieben alle, jeder macht irgendwie Musik und hat schon mal in der Band der anderen mitgemacht. Hans Tomato zum Beispiel ist sowohl bei Herbst in Peking als auch bei den Inchtabokatabeles dabei. Sein Mitstreiter René Schwettge ist der Sänger von Infamis, die gerade ihre neue Platte „Leaving The Cowboys Hanging In The Sky“ bei Mint Grün herausgebracht hat – ein schönes, schwülstiges Album, das toll manieristisch auf Einsamkeit, Prärie und lyrisches Rabaukentum macht und besonders wegen Schwettges triefenden, in Nick Cave und Veljanov verliebten Gesang gefällt.

Der dritte Verbändelte bei Mint Grün ist Matthias Kuhl, der früher bei Britannia Theatre Posaune spielte, einer Band, mit der das alles eigentlich erst ins Rollen gekommen war, als sie ihr Album „Two Trilogies“ selbst herausbringen wollte. Seit Frühjahr diesen Jahres gibt es diese schöne Ska-'n'-Blues-Band nicht mehr, ihr Sänger Alexander Krohn hat eine seltsame Affenliebe zu Harlem entdeckt, arbeitet jetzt in New York als Hoteldekorateur und ist gerade nur in Berlin, um Weihnachten und das Erscheinen der neuen Platte seines neuen Projekts A. Krohn & Two Horsemen zu feiern.

Hier führt er seine Schwäche für behaglich behäbige, schläfrige Katermusik, für das whiskeygetränkte, nostalgisch melancholische Lebensgefühl der amerikanischen Beatniks fort, für die sehnsüchtig sägenden Melodiefragmente, die Verschrobenheit von Tom Waits, seine harmoniesüchtigen Endzeitgesänge vom Leben in der Bar, in ollen Seemannsspelunken und auf sensationellen Jahrmärkten. Ohne singen zu können, aber das so richtig, mit verträumtem Glockenspiel und Akkordeon schwingt Krohns Musik jetzt viel lässiger als mit Britannia Theatre. Das ist Grog für die vereiste Seele in der klammen Stadt. Am Sonntag wird er Berlin die Kunde bringen vom Ostler, der gen Westen zog und dort das wahre Leben fand. Und niemand wird es übers Herz bringen, ihm dafür ernstlich böse zu sein.

Susanne Messmer

Record Release Party mit A. Krohn & Two Horsemen, Horn und The Crack Up am 27.12.98 ab 21 Uhr in der Hafenbar, Chausseestr. 20, Mitte