Im House mit der Götter-Gallery

Mit dem Herzen in Chicago, mit der Bassdrum in Berlin: Die zwei netten Jungs von Netto Houz wollen mit ihrem Album „Room 7107“ die hiesigen Techno- und House-Hörgewohnheiten nachhaltig verändern  ■ Von Andreas Hartmann

Buxtehude, Hamburg, auch München und jetzt Berlin. Dieses biographische Koordinatensystem mit dem Faktor Chicago-House potenziert ergibt eine ungefähre Vorstellung von Musik und Haltung zweier netter Jungs, die sich Netto Houz nennen.

Ohne zu tief in der Anekdötchenkiste grabbeln zu wollen: Ralf Maria Zimmermann und Markus Alexander Wegner kommen aus dem selben Kaff und haben Mitte der 80er in derselben Gitarrenband rumgeschrubbelt. Ralf verschlug es bald in die bayrische Weißwurstmetropole, und dort gründete er die legendären Milch.

Legendär deshalb, weil irgendwann jemand die Idee hatte, den Trash-Level von Milch zu elektrifizieren. Eine Remixscheibe von Milch war das Ergebnis und die Gründung von Deutschlands wegweisendstem Houselabel Ladomat 2000 extra für dieses Projekt beschlossene Sache. Tolle Geschichte soweit. Doch es sollte noch besser beziehungsweise schlechter kommen. Die Spex brachte vor einiger Zeit die ganze Enthüllungsgeschichte zum Skandalfall Milch. Die durften nämlich fett mit Harold Faltermeyer für Motor produzieren und haben, wie die Spex vermutet, eine Art „Smile“ der 90er im Giftschrank der Plattenfirma liegen. Denn Milch zerbrachen kurz vor der Veröffentlichung der Platte und Motor zeigte kein Interesse mehr, eine Platte ohne promotaugliche Künstler zu veröffentlichen. Ähnlich dem nie veröffentlichten legendären Mythen-Album der Beach Boys nehmen die Gerüchte um ein unglaubliches Discomeisterwerk von Milch nun eher zu als ab. Etwa eine Viertelmillion Mark würde es kosten, die Platte freizukaufen, vermutet Ralf. Geld, das natürlich niemand für einen Blindshot ausgeben möchte.

Die Geschichte von Milch hat mit Netto Houz immerhin soviel zu tun, als über Milch die beiden Freunde Ralf und Markus wieder in Hamburg zusammenfanden, und aus ihrer beider Liebe zu klassischem Chicago-House wurde dann recht schnell Netto – auf ihren ersten Maxis für Ladomat noch ohne Houz. Unter dem Namen Netto Houz findet man erst ihren aktuellen Longplayer „Room 7107“ im Plattenregal.

Netto Houz sind jetzt Berliner, Wahlberliner mit den Herzen in Chicago. Für Netto Houz ist Chicago mehr als bloß die Wurzel ihres Sounds, Chicago ist für sie lebendiger Mythos, dem sie huldigen und dem sie sich nicht durch so was wie das Ausrufen einer europäischen oder gar deutschen House- Schule entziehen möchten. Mit Leuchten in den Augen können beide Netto-Jungs von ihren Besuchen in der geheiligten Stadt erzählen. Von legendären Typen wie Larry Levan, Marshall Jefferson, Larry Heard oder Ron Trent. Ihre Flyer für eigene DJ-Sets sind gar Spielkarten mit den wechselnden Porträts ihrer Olympier, und auf ihrer Homepage kann man sich diese Götter-Gallery nochmals in Ruhe reinziehen.

Chicago-House bedeutet für sie aber vor allem das Gespür für fließende Sounds, für das Integrieren von Philly-Soul, Disco und Garage in Four-to-the-flour-House. Unter gutem House verstehen sie schwitzenden Hans-Dampf- mit All- Hands-In-The-Air-Groove und Sinn für Latin und ähnliche Einflüsse.

Auch wenn Berlin nicht mehr die klassische Untertagebau-Technostadt ist, kann von einem Houseboom noch keine Rede sein. Ralf: „Wir nehmen in Berlin schon eine Außenseiterposition ein. Wir leiden darunter, daß das Ding in Berlin Techno ist und alles platt macht.“ Aber immerhin gibt es in Berlin nicht bloß ihr Studio im Raum 7107, im siebten Stock eines in den 80ern gebauten DDR-Bürogebäudes in Stralau, sondern auch Refugien wie das St. Kilda, in dem Netto Houz so was wie Residents sind.

Außerdem waren die Resonanzen zur Debütplatte durchweg positiv. In einer Stadt wie Berlin, wo sich große DJ-Namen gegenseitig die Plattenspieler in die Hand drücken, ist es gar nicht so einfach, in größeren Clubs gebookt zu werden. Da ist eine Releaseparty in der Urgroßmutter Berliner Clubgeschehens, im Tresor, natürlich nicht das schlechteste. Vielleicht tritt danach das ein, was sich Markus sehnlichst wünscht: „Der gerade Electrohouse tritt auf der Stelle. Hauptsache, die Bassdrum kickt nach vorne. Das ist nicht vielschichtig und äußerst langweilig. Es wäre schön, wenn sich der Berliner Housesound verändern würde.“

Netto Houz am 26. 12. im Globus/ Tresor, Leipziger Str. 126a, Mitte