Und was kriegt Ihr Fernseher?

Das ganze Jahr gehört er zur Familie. Nur an Weihnachten soll er abseits stehen. Wenigstens ein kleines Geschenk hätte das Fernsehgerät doch verdient. Ein barmherziges Plädoyer  ■ von Klaudia Brunst

Mit dem Fernsehen an Weihnachten ist es wie mit dem Schenken nach Wunschzettel: Es gibt viele gute Gründe dafür. Aber es ist eben nicht schicklich. Wer seine Schwestern, Eltern, Erbtanten fragt, was sie sich eigentlich wirklich wünschen (und was das dann ungefähr kosten würde!), stellt nicht nur die eigene Einfallslosigkeit, sondern auch seine große innerliche Distanz den Beschenkten gegenüber unter Beweis. Das aber darf gerade an Weihnachten nicht sein. Die Hohe Schule des Schenkens, wie sie Familientherapeuten aus dem letzten entbehrungsreichen Jahrhundert in unser Überflußzeitalter gerettet haben, verpflichtet am Fest der Liebe zu größtmöglicher Schenkpaßgenauigkeit. Denn die ist ein Zeichen von Harmonie. Wenn sie glückt.

Freilich glückt das kreative Schenken ohne Vorlage nur selten. Meist ist man Stunden um Stunden von Hugendubel ins KaDeWe und zurück gewandert, und am Ende müssen sich die lieben Verwandten am Heiligen Abend dann doch mit praktischen Drei-in-einem- Krimitaschenbüchern oder niedlichen Stehrumchen für die Anrichte im Eßzimmer begnügen, für die ihnen das Bedanken auch nicht immer leichtfällt. Wesentlich aufgeklärter wäre es da schon, das Familienglück systematisch nach Liste (und Geldbeutel) abzuarbeiten. Auch die Schenkpaßgenauigkeit wäre dann in viel größerem Maße gewährleistet. Aber das hätte mit der geforderten Harmoniebildung nichts mehr zu tun.

In den meisten Familien ist der Fernseher längst als aktives Familienmitglied im Alltag akzeptiert. Etliche Studien über das Arrangement deutscher Wohnzimmermöbel oder die Zeitnutzung an Wochenenden beweisen, daß ER schon seit mindestens einer Generation eine feste Größe in unserem familären Miteinander geworden hat. Warum auch nicht? Er ist schließlich unterhaltsamer, klüger und kurzweiliger als jede Erbtante. Und harmoniestiftend, erstickt seine pausenlose Plauderbereitschaft doch jeden familären Streit bereits im Keim. Und wenn einem seine ungebrochene Extrovertiertheit auch mal gehörig auf die Nerven gehen kann, so weiß er doch (ganz wichtig!), wann er stört. Bei der Bescherung im engsten Familienkreis zum Beispiel. Daß er da nicht zugehört, wird schon daran deutlich, daß niemand daran gedacht hat, ein Geschenk für ihn zu besorgen. Weder ein kreatives noch eines von der Wunschliste.

Weil uns das doch irgendwie peinlich ist, retten wir uns für eine Weile, indem wir ihn ignorieren. Ostentativ knipsen wir ihn ein paar Stunden sogar ganz aus (auch die Standby-Funktion, er könnte ja sonst doch etwas mitbekommen).

Sicher finden wir unser Tun selbst etwas genierlich. So geht man ja eigentlich nicht mit guten Freunden um, mit Verwandten schon gar nicht. Es bleibt das Gefühl, undankbar gewesen zu sein. Hatte er uns beim Baumschmücken nicht noch ganz gut mit „Holiday on Ice“ unterhalten (er ist ja so traditionsbewußt!)? Und wenn wir Vati eine neue Videokamera kaufen, wird er sie als erster ausprobieren (er kann nämlich auch sehr modern sein). Doch, er ist uns schon wichtig. Und wenn er mal unpäßlich ist, was selten genug vorkommt, dann fehlt uns etwas. Aber sonntags beim Bratenessen und an Heiligabend beim Geschenkeaustauschen, da wollen wir ihn trotzdem nicht dabeihaben.

Also trollt er sich und trifft sich mit anderen Einsamen: mit kinderlos geschiedenen Sekretärinnen oder vereinsamten Schichtarbeitern. Denen und anderen Ausgestoßenen gaukelt er dann für ein paar Stunden die Heilige virtuelle Familie vor. So haben alle ihren Platz in der Gesellschaft. Seiner ist halt nicht am Weihnachtsbaum.

Nun ist er kein nachtragendes Gerät. Klaglos nimmt er unsere Zurückweisung am Heiligabend hin und wartet stoisch auf bessere Zeiten. Gelentlich kommen sie ja schon in der gleichen Nacht, wenn die offiziellen Feierlichkeiten vorbei sind und die härtesten Harmonieverfechter selig im Bett liegen. Spätestens aber am ersten Feiertag, wenn alle allen ihre Geschenke zeigen, darf er bestimmt wieder mitspielen. Und dann beschämt er uns mit einem wirklich tollen Feiertagsprogramm. Da bleibt kein Wunsch offen. Erst etwas betreten, mit der Zeit aber immer begieriger nehmen wir wieder die Unterhaltung mit ihm auf. Natürlich verliert er kein Wort über unseren rüden Rauswurf von gestern. Großzügigkeit war schon immer seine stärkste Waffe. So kann man ihm einfach nicht böse sein.

Nun ist es an uns, umzudenken. Denn auch wenn selbst Jesus an Weihnachten in einer Krippe schlafen mußte: In der Heiligen Nacht auf die Straße geschickt zu werden, das hat doch eigentlich niemand verdient. Wir sollten also in uns gehen und von seiner Großzügigkeit lernen.

Es muß ja kein großes Geschenk sein. Ein kleines neuen Antistatiktuch gegen die vielen Fusseln auf dem Panzerglas wäre doch eine hübsche Aufmerksamkeit. Schließlich ist es die Geste, die zählt. Und natürlich müssen wir ihn in diesem Jahr anlassen. Nicht nur auf Stand-by, sondern richtig. Über die Stummtaste ließe er dann sicher mit sich reden.