„Zeichen für einen Bruch mit der Tradition“

■ Der Religionssoziologe Michael N. Ebertz sieht Rot-Grün auf eine stärkere Trennung von Kirche und Staat zusteuern: „Ablehnung der Gottesformel beim Amtseid ist Signal an konfessionslose Wähler“

Ebertz ist Professor für Sozialpolitik an der Katholischen Fachhochschule in Freiburg und Privatdozent für Soziologie an der Uni Konstanz. Er ist Autor des Buches „Erosion der Gnadenanstalt“, Knecht-Verlag Frankfurt.

taz: Wie gottlos ist eine Regierung, die nicht auf Gott schwört?

Ebertz: Es ist schwer, daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Aber es steht fest, daß mit einer Tradition gebrochen worden ist. Schröder und die Minister, die auf den Gottesbezug verzichtet haben, wußten, was sie taten. Sie zeigen, daß sie sich nicht mehr in der Tradition eines engen Verhältnisses von Kirche und Staat sehen.

War der Eid ohne Gott also der Anfang einer stärkeren Trennung von Kirche und Staat?

Ja, ich vermute, daß in den nächsten Jahren eine stärkere Trennung auf der Tagesordnung stehen wird. Der staatliche Einzug der Kirchensteuer etwa ist mit der einfachen Mehrheit des Bundestages abschaffbar. Die Grünen drängen darauf, die PDS, FDP und Teile der SPD sind auch dafür. Es könnte zu einer großen Koalition für eine schärfere Trennung kommen.

Welchen Unterschied macht die religiöse Formel?

Es geht um ein religionspolitisches Signal, ein Hinweis darauf, daß man den Status quo einer Nähe von Kirche und Staat akzeptiert oder eben nicht. Der Verzicht kann bedeuten, daß man das Staat- Kirche-Verhältnis in der nächsten Zeit zur Disposition stellen will.

Ist das auch ein Signal an die Bevölkerung?

Natürlich, die jetzt regierenden Parteien sind sehr stark von den Konfessionslosen mitgewählt worden. Diesen Wählern will man zeigen, daß man sie repräsentiert. Menschen ohne Konfession wählen überdurchschnittlich die SPD, Grüne, PDS oder FDP, übrigens auch rechte Parteien.

Erwartet das Volk von seinen Regierenden einen Gottesbezug als Garantie für persönliche Moral?

Ich kenne keine empirischen Daten, aber ich würde das verneinen. Unter den Konfessionslosen sind viele Menschen, die nicht an Gott glauben, für sie ist eine Gottesformel nicht Symbol einer moralischen Bindung, sondern einer Ausgrenzung. Nach der Wiedervereinigung ist Deutschland nicht protestantischer, sondern konfessionsloser geworden; in den neuen Ländern sind 70 Prozent der Bevölkerung ohne Konfession. Der Nichtbezug auf Gott ist ein Zeichen für den Wandel in der Bevölkerung. Und dieses Zeichen setzen Politiker nicht so nebenbei, sondern wissen genau, wie das in der Öffentlichkeit ankommt.

Hat die Kohl-Regierung an den Realitäten vorbeigeschworen?

Die religiöse Formel kann auch ein persönliches Bekenntnis ausdrücken. Die CDU wird viel stärker von kirchlich gebundenen Menschen gewählt. Der religiöse Eid war auch ein Signal der CDU an ihre Wähler.

Die CDU/CSU trägt das Christliche ja im Namen. Gerät sie bei dieser Entwicklung zu weniger Christlichkeit in die Klemme?

Die Entkirchlichung geht weiter. Im Westen haben die Austritte in den neunziger Jahren zugenommen, im Osten ist die Konfessionslosigkeit eine der wenigen Möglichkeiten, die eigene Identität zu behaupten. Es kann sein, daß das C eines Tages nur noch von einer Minderheit zum Anlaß genommen wird, diese Partei zu wählen. Es ist schwer zu sagen, ob wir in Europa einen Niedergang der Christdemokratie erleben werden. Auch für die SPD hieß es früher, ihre klassische Basis in der Arbeiterschaft schwinde, nun hat sie ihre Strategie auf die „neue Mitte“ eingestellt. Die Frage ist, ob der Union die Lösung von der traditionell konfessionellen Wählerschaft gelingt, ohne die katholischen Stammwähler zu verlieren.