Analyse
: Ein Block zerbröselt

■ Zweieinhalb Jahre Netanjahu haben aus dem Likud eine Sekte gemacht

Die Prinzen verlassen ihren König. Dan Meridor, Vertreter einer der alteingesessenen revisionistischen Likud-Familien, wirft das Handtuch. Er kapituliert vor Benjamin Netanjahu und gesteht, daß dessen Macht im Likud größer ist als seine. Der Emporkömmling hat gesiegt. Doch zu welchem Preis?

Israels Parteienlandschaft ist in Bewegung wie nie zuvor. Meridor will eine neue Partei gründen, und der ehemalige Generalstabschef Amnon Lipkin-Shahak wird es ihm gleichtun. Der Wahlkampf hat begonnen. Die traditionell „großen Parteien“, Likud und Labour, werden an Einfluß einbüßen. Auch Benni Begin wird eine neue Partei gründen. Der Likud zerfällt. Und es ist niemand da, der diesen Prozeß aufhalten könnte, kein Menachem Begin und kein Jitzhak Schamir. Sie würden die Niederlage ihrer Partei nicht hinnehmen. Doch eine Chance hätten auch sie nicht.

Zweieinhalb Jahre unter Netanjahu haben aus dem Likud eine Sekte gemacht, die ihre ideologischen Vorgaben auf dem Altar der Macht geopfert hat. Ob das Hebron-Abkommen oder das von Wye, Netanjahu hat die Partei gezwungen, auf das zu verzichten, zu dessen Eroberung sie einst angetreten war: das Westjordanland, biblisches Territorium in den Augen der Siedler. Der Anspruch mag fortbestehen, doch eingelöst werden kann er nicht.

Und die Alternative? Einen neuen Führer? Mehr Konsequenz? Durchhaltepolitik? Ausgesucht wurde Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert, der den Ultraorthodoxen in Jerusalem nach dem Mund redet. Doch um den Likud zu einen, bedarf es mehr als einer ultraorthodoxen Basis.

Es ist nicht mehr ausgeschlossen, daß mit Netanjahu jene Ära der israelischen Politik endet, die sich allein aus dem Widerspruch zur Versöhnungspolitik der Arbeitspartei speiste. Eine eigene Likud-Ideologie hat Netanjahu nie hervorgebracht. Und was die Gründerväter an Visionen hatten, hat Netanjahu verwandelt in einen Kleinkrieg um den Machterhalt. Daran ist er jetzt gescheitert. Und in dieses Scheitern hat er den Likud mit hineingezogen.

In der kommenden Wahlschlacht werden die großen Parteien die großen Verlierer sein. So gerecht das erscheinen mag, so wenig dient es einem Frieden mit den Palästinensern. Ohne daß endlich eine israelische Partei auftritt, die Klartext redet und historisches Unrecht eingesteht, wird es keinen Frieden geben. Es kann 20 Jahre oder mehr dauern, bis es soweit ist. Unter Israels Parteiführern gibt es niemanden, der heute den Mut hätte, ein solches Geständnis zu machen. Das wird ihr Dilemma bleiben. Vielleicht ist die politische Opportunität in Israel an ihre Grenzen gestoßen. Aber immer noch braucht es jemanden, der diese Grenze überschreitet. Georg Baltissen