Der Trend heißt: Dagegen sein

Ausfluß irrationalen Volkswillens oder politischer Bewußtseinsbildung? In Hamburg laufen die ersten Bürgerbegehren an: Mit Marcus Hiller von „Mehr Demokratie“ sprach  ■ Elke Spanner

Niemals würde Marcus Hiller behaupten, daß die Bürgerbegehren, die in Hamburg bisher angemeldet wurden, egoistischer Natur seien. Denn Egoismus sei negativ, und daß der Bürger mit seinem Leben zufrieden ist hingegen das Wichtigste. Könnten die Menschen in Hamburg nur glücklich sein, wenn rund um ihr Eigenheim keine Flüchtlinge wohnen, keine Drogen gespritzt werden und keine straffälligen Jugendlichen untergebracht sind, dann wolle Hiller sich darüber nicht beschweren. „Außerdem muß Volkes Wille auch nicht immer rational sein.“

Die Initiatoren des Hamburger Landesverbandes „Mehr Demokratie e.V.“ sind zufrieden. Sechs Bürgerbegehren laufen, seit die Möglichkeit, die Politik im Bezirk mitzubestimmen, vor einem Vierteljahr per Volksabstimmung eingeführt wurde. „Das Instrument wird genutzt“, freut sich auch Michael Effler, der die Beratung für wißbegierige Leute übernommen hat. Viele tausend Menschen, ergänzt Hiller, hätten jetzt angefangen, sich mit Politik in ihrem Umfeld zu beschäftigen, das sei „politisch bewußtseinsbildend“.

Der Trend des ersten Jahres lautet eindeutig, nicht für, sondern gegen etwas zu sein. Gegen Jugendwohnungen in Bergedorf und Winterhude. Gegen Fixerstuben in Billstedt und an der Hoheluftbrücke. Gegen die Bebauung des Niendorfer „Grünen Rings“, gegen obdachlose DrogenkonsumentInnen in Eppendorf.

„Daß sich die Bürgerbegehren stets gegen etwas richten, zeigt, daß Politik über die Köpfe der Bürger hinweg gemacht wird“, analysiert Hiller. „Sie nutzen jetzt die neue Möglichkeit, auf die Bremse zu treten.“ Daß sie das allerdings etwas unüberlegt tun, findet Effler: „Die ersten Bürgerbegehren wurden sehr Hals über Kopf geplant“, bedauert er und hofft, „daß die Leute demnächst mehr Überlegensarbeit reinstecken“.

Auf Dauer wünscht er sich, daß die Menschen selbst „innovative Projekte“ initiieren. Wie der „Mieterverein zu Hamburg“ etwa. Der war bei Effler in der Beratung, um prüfen zu lassen, ob per Bürgerbegehren eine „Milieuschutzverordnung“ erlassen werden könnte. Mit der sollte die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindert werden.

Leider mußte Effler die MieterschützerInnen enttäuschen. Auf diesem Weg, bedauert der fachkundige Berater, wird es schwierig sein, Spekulanten das Handwerk zu legen. Auch die von einer Initiative aus St. Pauli geäußerte Idee, das „Entertainment-Center“ am Nobistor per Bürgerbegehren zu stoppen, wird schwer umzusetzen sein. Gegenstand des Verfahrens kann nur sein, wofür die Bezirksversammlung zuständig ist. Die Verkehrsberuhigung einer Straße beispielsweise oder die Umnutzung eines sozialen Projektes. Hier können BürgerInnen das Parlament zu einer bestimmten Entscheidung zwingen.

Anders ist es, wenn der Bezirk nur den Schauplatz stellt und der Senat die Regie führt – wie etwa beim „Entertainment-Center“. Oder bei den beiden Jugendwohnungen für straffällige Jugendliche, die in Bergedorf und Winterhude eingerichtet werden. Das Konzept hat der städtische „Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung“ beschlossen. Hier können die Bürgerbegehren nur empfehlenden Charakter haben. Kommen ausreichend viele Stimmen zusammen, kann die Bezirksversammlung nur an den Senat appellieren, auf den Standort zu verzichten.

Laut lacht Hiller über den Einwand, der vor der Volksabstimmung zum Bürgerbegehren oftmals von KritikerInnen vorgebracht worden war: Um die Stimmen zusammenzubekommen, müsse man intensive Öffentlichkeitsarbeit betreiben, und das koste Geld. Ergo könnten sich nur Projekte durchsetzen, welche die Interessen gutbetuchter Lobbyisten vertreten. Hiller hingegen behauptet, Geld spiele kaum eine Rolle, und rechnet vor: In einer Stunde könne man ungefähr zehn Unterschriften sammeln.

Habe man für ein Anliegen etwa zehn Aktive und bräuchte wie in Eimsbüttel rund 6000 Stimmen, dann müsse jeder nur 60 Stunden auf der Straße stehen, also rund zehn Samstag-Vormittage: „Das kann man schon mal aufbringen.“