Hochzeit zweier angeschlagener Präsidenten

Die Herrscher Rußlands und Weißrußlands geben sich das Jawort. Beide Staaten sollen politisch und wirtschaftlich zusammenwachsen – zum Wohle der Mächtigen und zur Besänftigung der Massen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Unsere Länder betreten das 21. Jahrhundert in einer neuen Eigenschaft. Wir bewegen uns auf einen Unionsstaat zu“, meinte ein froh und munter dreinschauender Boris Jelzin nach der Vertragszeremonie zu seinem weißrussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko am Wochenende im Kreml. „Jetzt stellen wir die Frage über die freiwillige Vereinigung zu einem Unionsstaat.“ Die beiden Länder unterzeichneten ein Vertragswerk, das längerfristig den Zusammenschluß zu einem neuen Unionsstaat anvisiert. Im einzelnen sieht das Einigungsabkommen vor, supranationale Institutionen zu gründen, die das neue politische Subjekt verwalten sollen. Zudem werden ein gemeinsamer Haushalt und eine einheitliche Währung angestrebt. In der Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bekunden die Partner, von nun ab die Interessen enger miteinander abzustimmen. Noch im Laufe des kommenden Jahres sind die Bürger in beiden Staaten aufgerufen, in einem Referendum zu entscheiden, ob sie die neue Union befürworten.

Ähnliche Einigungsbemühungen hat es bereits gegeben. Im Frühjahr 1996 veranstaltete der Kreml als Teil des Präsidentschaftswahlkampfs eine pompöse Einigungszeremonie. Es hätte keiner neuen Initiative bedurft, um den Vertrag mit Leben zu erfüllen. Der eigentliche Zweck der Unternehmung ist denn auch im gegenwärtigen Befinden der beiden Präsidenten zu suchen. Der seit Beginn der Krise an den Rand gedrängte Kremlchef Boris Jelzin ist darum bemüht, ins Zentrum des politischen Geschehens zurückzukehren. Wie sich das inszenieren läßt, spielt dabei eine geringere Rolle. Zuweilen hinterläßt der Kremlzar dabei den Eindruck eines zu früh aus dem Winterschlaf aufgescheuchten Bären. Lukaschenko indes, dessen heimische Wirtschaft sich im freien Fall befindet, möchte den Weißrussen durch die Einigungsperspektive wenigstens Hoffnung auf bessere Zeiten bescheren. Im Vergleich zu den Weißrussen geht es den Russen um einiges besser. Darüberhinaus trachtet Lukaschenko nach dem Zarenthron im Jahr 2000. Gelingt ihm der Sprung an die Spitze Rußlands hätte er seine politischen Ambitionen befriedigt und könnte die von ihm zu verantwortende Mißwirtschaft durch Subventionen an das neue Subjekt der Union vertuschen.

Jelzin hielt den eilfertigen Weißrussen bisher auf Distanz. Er folgte nicht der Maxime, Einigung um jeden Preis. Obwohl er in den letzten Jahren versucht hat, sein Image als Totengräber des sowjetischen Imperiums zu korrigieren und die ehemaligen Republiken wieder an Moskau zu binden. Im Falle des Weißrussen bleibt Jelzin mißtrauisch. Nur so viel ist gewiß: Ein einflußreicher Lukaschenko ist ein mächtiger Konkurrent für Jelzins kommunistischen und chauvinistischen Gegner. Kommentar Seite 10