Weder unzählige Prozesse noch Schriftstellerproteste konnten die Reform der Rechtschreibung aufhalten. Doch dann wurden die neuen Regeln in Schleswig-Holstein per Volksentscheid gestoppt. Nun besteht die Chance, daß es auch in Bremen zu einer Abstimmung kommt. Und wenn ein zweites Bundesland kippt, könnte das ganze Projekt wackeln. Die Bremer Regierung versucht vorsorglich, den brisanten Volksentscheid zu verhindern. Von Christian Füller

Wenn das Volk diktieren will

Die Kultusminister reagierten verärgert. „Eine einsame Insel andersschreibender Kinder“ werde nun aus Schleswig-Holstein, erklärte die Kultusministerkonferenz, nachdem das nördliche Bundesland am 27. September die Rechtschreibreform per Volksentscheid abgelehnt hatte. Selbstverständlich gebe es „keine bindende Wirkung für die anderen Länder“. Und der Verband der Schulbuchverlage schob generös nach, Schleswig-Holstein könne ja nach einigen Jahren auf die „Einheitslinie“ zurückschwenken.

Inzwischen sind die ProtagonistInnen der neuen Schreibregeln schon etwas ruhiger. Vielleicht hat das damit zu tun, daß RechtschreibrebellInnen im ganzen Land an Volksentscheiden arbeiten. In Bremen hat eine Abstimmung bereits die erste Hürde genommen. Schaffen die GegnerInnen in einem zweiten Bundesland den Stopp der neuen Regeln in den Schulen, könnte das ganze Projekt wackeln. „Dazu sagen wir gar nichts“, heißt es jetzt nur noch aus dem Bonner Büro der Kultusministerkonferenz.

Die InitiatorInnen der Volksabstimmungen hoffen auf eine Rettung aus dem politischen Chaos um die neuen Regeln. Über sie brüteten internationale Kommissionen jahrelang, die Kultusminister starteten sie in den Schulen zum 1. August per Erlaß. Dagegen haben Eltern geklagt und viele Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten erzwungen – die sich heillos widersprechen. Nicht einmal der Deutsche Bundestag und das Bundesverfassungsgericht konnten letzte Klarheit schaffen. Keiner weiß genau, wann es definitiv losgeht mit der gemäßigten Kleinschreibung, den vereinfachten Kommaregeln oder den neuen Trenn-Vorschriften.

Nun müsse der Souverän zu Wort kommen, verlangen die aufgeregten Sprachschützer. Sie wettern gegen die staatlich verordnete „Sprachverhunzung“ und für die „hergebrachte deutsche Sprache“. Die Initiativen tragen Namen wie „Wir sind das Rechtschreibvolk“. Allein, der Souverän gibt sich zickig. In den meisten Bundesländern ging es mit den Initiativen schleppend oder gar nicht voran.

Aufgegeben haben die GegnerInnen allerdings nicht. „Es ist durchaus zu schaffen“, wähnt sich Matthias Dräger auf der Gewinnerstraße. Der Verleger christlich- mystischer Schriften wurde mit der erfolgreichen Anti-Neuschreib- Kampagne in Schleswig-Holstein zum Star unter den oft skurril auftretenden Reformgegnern. „Wir hängen uns an Landtagswahlen dran“, erklärt der 42jährige die Strategie, mit der er die volksabstimmungsfaulen Deutschen zur Urne locken will. In Bremen finden im Juni Bürgerschaftswahlen statt: die ideale Gelegenheit, genug BürgerInnen zu mobilisieren.

Eine Bedingung erfüllte die Bremer Initiative schon, indem sie rund 8.000 Unterschriften zusammentrug – nur 5.000 wären für den Zulassungsantrag zum Volksbegehren nötig gewesen. Anfang des Jahres könnten die GegnerInnen die für den Volksentscheid nötigen 52.000 Unterschriften sammeln.

Doch so leicht ist es mit der Zulassung nicht. Offenbar ahnen die Regierenden, wie folgenschwer es wäre, wenn zur „einsamen Insel“ Schleswig-Holstein mit Bremen noch ein Land hinzukäme. Eine Zulassung sei „verfassungsrechtlich höchst fraglich“, sagte der zuständige Justiz-Staatssekretär Ulrich Mäurer (SPD) zur taz. Die Bremer Neuschreibgegner wollen den Senat nämlich per Plebiszit beauftragen, die Rechtschreibreform in der Kultusministerkonferenz aktiv zu stoppen. Ein solches „imperatives Mandat“ sei aber nicht zulässig.

Daß der Staatssekretär sich den Kopf über inhaltliche Fragen des Volksbegehrens zerbricht, verwundert Bremens Landeswahlleiter. „Das ist nicht das vorgesehene Verfahren“, beharrt Wahlleiter Dieter Matthey auf seiner Zuständigkeit. Er muß laut Gesetz als erstes prüfen, ob die von den Bremer SprachbewahrerInnen vorgelegten Unterschriften für ein Volksbegehren überhaupt ausreichen. Matthey liegen die Unterschriften indes noch gar nicht vor.

Die Nerven liegen blank. Der Antrag der Rechtschreibgegner, so teilt Regierungssprecher Hermann Pape auf Anfrage mit, „liegt zur förmlichen Prüfung auf Zulässigkeit beim Senator für Justiz und Verfassung“ – das ist in Personalunion der Bürgermeister der Hansestadt, Henning Scherf (SPD).

Es steht eine Menge auf dem Spiel. Denn das unrühmliche Ende der ersten staatlich sanktionierten Vereinheitlichung und Vereinfachung des Deutschen seit 1902 wäre wirtschaftlich eine Katastrophe. Die Schulbuchverlage, seit Jahren mit Redaktion und Druck neuer Bücher beschäftigt, drohen mit Schadenersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe.

Doch bei wem wäre Schadenersatz überhaupt einklagbar? Juristisch ist es eine heikle Frage, wer eigentlich über die Sprache beschließen kann. Die Regierung, das Parlament oder doch die Gerichte? Die Schriftsteller vielleicht? Oder schreibt einfach jeder so, wie er will?

Und: Wer ist das Rechtschreibvolk? Matthias Dräger und seine schleswig-holsteinischen MitstreiterInnen sind zwar zufrieden, daß das Kulturgut deutsche Sprache wenigstens im hohen Norden gerettet ist. Die Schulkinder aber – ein Großteil der 12,5 Millionen deutschen Schüler schreibt bereits neu – sind da anderer Meinung: Sie haben Neuschreib leichter gelernt als das alte Regelwerk. Nun wollen einige nicht einsehen, warum sie die schwierigeren alten Kommaregeln lernen sollen, nur weil die über 18jährigen Abstimmungsberechtigten diktierten, was die unter 18jährigen SchülerInnen lernen müssen.

Für die Kids der Berliner Kinderrechts-Initiative KrÄtzÄ (KinderrÄchtszÄnker) ist daher klar, wer das Volk ist. „Ich fänd' das fies“, sagt die 15jährige Anna, „wenn ich da nicht mitabstimmen dürfte.“ Ihre Mistreiterin Paula (13) meint sogar, „daß vor allem wir bei der Rechtschreibrefom das Sagen haben müßten“.