Nix mit Lungern am Eck

■ Wer denkt noch an Sylvester –98? Sorgen Sie sich lieber um das nächste Jahr!

Große Party in der Stadthalle? Lungern auf Knaller-Schlacht am Sielwall? Edles Menü im Parkhotel? Oder lieber ein besinnliches Essen daheim? Raketen auf Balkonien mit Familie? Entspannen Sie sich vorerst von diesen vorjahreswechselhaften Gedanken. Denn wen interessiert Sylvester –98, wo uns doch in 365 Tagen die Jahrtausendwende bevorsteht?

Sollten Sie den ultimativen Kick lieber allein im Wald, im Yoga-Sitz auf einem einsamen Berggipfel, im Getümmel auf dem New Yorker Times Square oder sonstwo suchen? Denn eines ist klar, bei allem Respekt: In unserem kleinen Bremen wird Sie bestenfalls ein milder Hauch der Historie anwehen.

Eine Entscheidungshilfe vorab: Die Millenium-Kreuzfahrt auf der noch nicht mal fertiggebauten MS Europa über die Datumslinie im Pazifik ist komplett ausgebucht, selbst falls Sie die 84.200 Mark pro Person in der Grand Suite übrig haben sollten. Zum Trost bieten die Kataloge der Reiseveranstalter, wie etwa Dertours „Ins neue Jahrtausend“-Werk, allerlei andere Möglichkeiten. Sylvesterparty auf dem ausrangierten Flugzeugträger USS Lexington, inklusive fünf Tage in Corpus Christi, Texas, und Flug für 4.995 Mark. Oder eine Woche Mallorca an der Playa de Palma inklusive Galaabendessen für 2.175 Mark. Oder zwei Nächte Disneyland bei Paris für 1.263 Mark. Oder Trecking im Sinai per Jeep und Kamel, Wasser und Lebensmittel muß man selber tragen, mit Sylvester auf dem Gipfel des Gebel Abbas Basha (Aussicht zum Golf von Suez) und Neujahrsbesuch im Katharinenkloster für 2.189 Mark. All das ist zu haben, wenn auch eine Reisebüro-Expertin unter der Hand versichert, jeder, der eine solche Reise buche, sei sowieso bekloppt.

Zuwenig Bekloppte haben auch die Möchtegern-Veranstalter des größten Feuerwerks aller Zeiten auf dem Berliner Flughafen Tempelhof überzeugen können: Niemand wollte 2.500 Mark für den „Feuerzauber 2000“ bezahlen, auch wenn sogar eigens eine „Ode ans neue Jahrtausend“ komponiert werden sollte. Der Event ließ sich nicht in der angestrebten Qualität realisieren“, heißt es beim Veranstalter. Noch nicht abgesagt wurde dagegen die angeblich „Größte Disco Europas“ in der Dortmunder Westfalenhalle (Eintritt 440 Mark). Nach wie vor beworben wird auch die „größte Party der Welt“ in der Wüste Südkaliforniens. 2,5 Millionen Menschen, die bis zu 885 Dollar bezahlen, will der Produzent Michael Johnson für fünf Tage in den Staub nahe des Städtchens Yuma locken. 200 Bands sollen aufspielen, den Rolling Stones sollen vier Millionen Dollar angeboten worden sein. Harter Alkohol ist verboten, Bier solls aber geben.

Für Millenium-Freaks bietet sich etwa eine Fahrradtour auf Neuseeland an, unter dem Motto: „2000 First to the Sun“. An der Ostküste der Insel wird die Sylvester-nacht durchgemacht, um dann – um Punkt 4 Uhr 46 morgens – den ersten Sonnenaufgang des Neuen Jahrtausends zu erblicken. Falls Ihnen jetzt für das nächste Jahr die Lust aufs Rumlungern am Sielwall-Eck vergangen ist, buchen Sie jetzt: Die Menschen sind bekloppter als viele glauben. Joachim Fahrun