Rätsel um den Tod eines Hackers

Perfekter Mord oder Selbstmord? Auf dem 15. Kongreß des Chaos Computer Club war der Tod des Hackers „Tron“ das alles bestimmende Thema  ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Die Leinwand ist schwarz. Aus dem Off ist die Stimme eines jungen Mannes zu hören. Die Stimme erzählt von „Grauzonen“ beim Knacken von Pay-TV-Programmen und wie einfach es ist, Telefonkarten nachzubauen. „Nachweislich habe ich in Deutschland das Telefonkartensystem als erster geknackt“, hört man weiter. Die Stimme klingt weder aufgeregt noch stolz. Ein Zeitmesser am unteren Ende der Leinwand zeigt Zehntel- und Hundertstelsekunden an. Unaufhörlich läuft die Zeit, während die Stimme weitererzählt. Davon, daß der Telekom ein Millionenschaden entstanden ist, „der keinem weh tut“ und daß „ich Kreditkarten nur knacke“, um zu zeigen, daß die Systeme nicht sicher sind.

Mehrere hundert junge Leute lauschen gespannt. Sie hören einem Toten zu. Die Stimme gehört dem Hacker Boris F., der am 22. Oktober in Berlin-Neukölln aufgefunden wurde, erhängt an einem Baum. Aufgezeichnet wurde das Gespräch mit F., der sich unter dem Namen „Tron“ in der Szene einen Namen mit der Entschlüsselung von Computercodes gemacht hat, im vergangenen Jahr auf einem Hackertreffen in Amsterdam. Abgespielt wurde es am Sonntag abend, am Eröffnungstag des 15. Chaos Communication Congress, den der Chaos Computer Club e.V. (CCC) Boris F. gewidmet hat. Etwa 2.000 Teilnehmer sind bereits am ersten Tag in das Haus am Köllnischen Park in Mitte gekommen, zu Workshops über Chipcard-Hacking, ISDN-Grundlagen und die Geschichte des CCC und des Hackertums in Deutschland.

Etwa 500 sitzen am frühen Sonntag abend in der Aula, um dem „Versuch einer Klärung von ,Trons‘ Tod“ zuzuhören. Mit den Ermittlungen der Polizei, die nach wie vor von einem Selbstmord ausgeht, wollen sich CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn und viele andere Clubmitglieder nicht abfinden. Auch die Eltern von Boris F. nicht, die eine zweite Obduktion verlangt haben. „In relativ jüngster Vergangenheit vor seinem Verschwinden“, so Müller-Maguhn, „gab es mehrere Anwerbeversuche“. Wenige Tage vor seinem Tod soll Boris F. geschäftliche Kontakte zu einem Unternehmen aus der Computerbranche gehabt haben. Die Eltern des Toten hätten in seinem Zimmer einen Lieferschein einer Firma gefunden, die den Computerspezialisten offenbar anwerben wollte. Diese Firma soll sich für seine Fähigkeit interessiert haben, Codes für Pay-TV-Programme zu knacken.

Wollte sich der CCC in den vergangenen Wochen nicht in die laufenden Ermittlungen der Polizei einmischen, hagelte es am Sonntag abend massive Kritik. Mit einer Standortbestimmung seines Handys, das am Tag seines Verschwindens bis 22.30 Uhr in Betrieb war, „hätte man ihn vermutlich noch lebend auffinden können“, so der Sprecher. „Wir wollen uns nicht auf die Ermittlungen der staatlichen Stelle verlassen“, sagte der Sprecher in Richtung des ebenfalls im Saal anwesenden Leiters der ermittelnden Mordkommission. Grundlage für eigene Ermittlungen seien „viele Motive“ und jede Menge Spekulationen. So sei denkbar, daß Pay-TV jemanden als abschreckende Wirkung für die wenigen losgeschickt habe, die sich damit beschäftigen. „Vielleicht hat aber auch jemand mit einer Maschinenpistole hinter ihm gestanden“.

Dieser Kritik an den polizeilichen Ermittlungen schloß sich auch der Anwalt der Eltern von Boris F. an. Wilfried Nache wurde von ihnen eingeschaltet, als die Polizei wenige Tage nach dem Verschwinden ihres Sohnes dessen Computer beschlagnahmte. „Ich versuchte die Polizei zu überzeugen, daß sie sich lieber um das Auffinden von ,Tron‘ kümmern soll“, beschrieb er seine Bemühungen. Unter den Zuhörern gab es nur einige wenige, die von den Verbrechenstheorien nichts wissen wollten. So sagte ein junger Mann, daß man auch die Selbstmordtheorie gelten lassen müsse, weil alles andere „zu gruftig“ sei. Nachdem Müller-Maguhn einen Appell an die Polizei losließ – „die Scheiß- Wichser sollen sich auch nach Feierabend verantwortlich fühlen“ – platzte dem Leiter der 3. Mordkommission, Klaus Ruckschnat, der Kragen. „Ich habe zwar kein Mandat, hier zu sprechen“, sagte er. „Doch es kotzt mich an, wenn Dinge verbreitet werden, die nicht stimmen“, sagte er. Der Fall werde wie ein Mord behandelt, stellte er klar. Doch nach den bisherigen Ergebnissen deute alles auf Selbstmord hin.

Um seine Position zu untermauern, ging Ruckschnat sogar auf die vielen Spekulationen ein. „Sicher gibt es den perfekten Mord“, sagte er. Auch im Fall ,Tron‘ könne es sein, daß „jemand ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen hat“. Doch dann nannte er sein Dilemma: „Wie soll man das nachweisen?“ CCC-Sprecher Müller- Maguhn, dem es zu „müßig“ war, weiter mit der Polizei zu diskutieren, brach die Veranstaltung nach zwei Stunden ab.