Mehr Tempo denn je

Das oppositionelle indonesische Nachrichtenmagazin „Tempo“ darf nach vier Jahren wieder erscheinen  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

An der Wand der Redaktion hängt prominent das Titelbild jener Ausgabe, die einst den Zorn von Ex-Präsident Suharto herausforderte: Darauf blickt der damalige Technologieminister B. J. Habibie auf eine Flotte von Kriegsschiffen. Weil es das populäre Nachrichtenmagazin Tempo 1994 wagte, den von Habibie eingefädelten Kauf von 39 alten Schiffen aus Ex-DDR-Beständen zu kritisieren, verlor es kurzerhand die Lizenz.

Vier Jahre später verkündet nun eine riesige rote Anzeigentafel über dem Verlagshaus in der Proklamasi-Straße von Jakarta stolz die Wiedergeburt der Tempo. Sie ist Symbol der neuen Ära der Reformen in Indonesien, die unter Präsident Habibie begonnen hat. Zum großen Erstaunen vieler IndonesierInnen hatte der Suharto- Ziehsohn und Nachfolger kurz nach seinem Amtsantritt im Mai die Tempo und andere verbotene Publikationen wieder zugelassen und über 300 neue Presselizenzen erteilt.

Trotz der schweren Wirtschaftskrise in Indonesien beschlossen der frühere Verleger Fikri Jufri und Chefredakteur Goenawan Mohamad, das Wochenmagazin wiederzubeleben. Als das erste Heft im Oktober erschien, wurde es den Zeitungsjungen förmlich „aus den Händen gerissen“, erinnert sich Redakteur Taufik Ahmad: „Es war unglaublich!“

Statt, wie erwartet, 60.000 Exemplare, wurden von der ersten Ausgabe 150.000 Stück verkauft. Jetzt hat sich die Auflage bei etwa 105.000 eingependelt. Eigentümer von Tempo sind mehrere Privatpersonen, eine Stiftung und die Mitarbeiter der Zeitschrift.

Taufik Ahmad ist für die Jakarta-Berichte verantwortlich und gehört zu jenen 40 Prozent der „Tempo-Veteranen“, die sofort zurückkamen, als sie von Goenawans Plänen hörten, das Blatt wieder herauszubringen. In den vergangenen vier Jahren war der Journalist wie mehrere seiner Kollegen bei der Zeitschrift D & R (Detektif & Romantika) untergeschlüpft. Hinter diesem harmlosen Titel verbarg sich das in den letzten Monaten der Suharto-Diktatur aufmüpfigste Blatt Indonesiens. Für die Journalisten bedeutete D & R „Demokrasi & Reformasi“ – wie sie das Blatt nach Sturz Suhartos auch offiziell tauften.

Andere RedakteurInnen überwinterten dagegen zum Beispiel in Motor- oder Frauenzeitschriften oder in lokalen Tageszeitungen. Ganz verschwunden war Tempo allerdings nie: Chefredakteur Goenawan, der auch als Schriftsteller und kritischer Kommentator bekannt ist, gründete das „Institut zum Studium des freien Informationsflusses“ (Isai). Darin versammelte er frühere Tempo-MitarbeiterInnen und ReporterInnen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, weil sie einem oppositionellen Journalistenverband angehörten. Sie produzierten unter anderem die Tempo- Interaktif, die nur im Internet zu lesen war.

Wie in anderen Ländern wurde in den letzten Jahren auch in Indonesien das Internet für Regierungskritiker eine wichtige Informationsquelle. Die Artikel aus der virtuellen Tempo konnten auch außerhalb von Jakarta ausgedruckt, fotokopiert und weitergegeben werden.

Das kleine Tempo-Café im Hof des Isai-Gebäudes in der Utan-Kayu-Straße wurde zum Treffpunkt und zur Infobörse der Opposition. Obwohl niemand davon zu träumen wagte, jemals wieder ein richtiges Tempo-Heft in den Händen zu halten, hielt der heute 57jährige Goenawan die alte Belegschaft zusammen. Bis zum Ende der Suharto-Herrschaft traf sie sich im Café bei Bier und Häppchen „und schwelgte in Nostalgie“, wie eine Reporterin erzählt.

Nach dem neuen Start gab es keinen Mangel an Themen für Tempo: Die Titelgeschichte in der ersten Ausgabe waren die Unruhen im Mai und die Vergewaltigung von Frauen der chinesischen Minderheit, hinter denen bestimmte Kreise innerhalb des Militärs vermutet werden. Es folgten unter anderem Berichte über den immensen Reichtum der Suharto- Familie aber auch über die geschäftlichen Interessen Habibies. Den ärgerte das Magazin überdies, indem es den alten Skandal um die DDR-Kriegsschiffe wieder aufrührte.

Nach der ersten Begeisterung über die in 32 Jahren Suharto-Regime nie gekannte Pressefreiheit wächst derzeit allerdings die Angst vor einer neuen Eiszeit. Habibie forderte, Journalisten sollten besser kontrolliert und zum Beispiel registriert werden.

Seit die Regierung wegen der Schüsse des Militärs auf demonstrierende Studenten viele Sympathien verloren hat, reagiert sie zunehmend intolerant. Die restriktiven Pressegesetze der Suharto- Zeit sind noch in Kraft, sie könnten jederzeit wieder angewendet werden.

Auch von anderer Seite wächst der Druck: Eine rechte islamistische Gruppe verklagte zum Beispiel kürzlich das Magazin Jakarta- Jakarta. Es hatte einen Artikel über die Vergewaltigungen im Mai veröffentlicht und ein Opfer zitiert. Danach habe der Täter zu ihr gesagt, er vergewaltige sie, „weil du Chinesin und keine Muslimin bist“. Die Organisation beschuldigen das Magazin, „den Islam zu verleumden“.

Tempo-Chefredakteur Goenawan brütet bereits an einem neuen Projekt: Gemeinsam mit Journalisten seines Isai-Instituts will er den ersten indonesischen Nachrichten- Radiosender gründen. Das Radio ist das wichtigste und weitreichendste Medium in dem riesigen Land mit seinen mehr als 200 Millionen Einwohnern. Damit, sagt Journalist Andreas Harsono, „könnten wir viele Menschen erreichen, die sich keine Zeitung leisten können“.

In der gespannten politischen und sozialen Situation Indonesiens sei es besonders wichtig, unabhängige Informationen zu verbreiten. Harsono: „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“