■ Kuba: Am 1.Januar 1959 siegte die Revolution. Wann scheiterte sie?
: Vierzig Jahre später

Vor zehn Jahren gab mir der Chefredakteur der Zeitung in Havanna, für die ich arbeitete, den Auftrag, einen Artikel über die kubanische Jugend am 30. Jahrestag der Revolution zu schreiben. Ich hatte ein paar Wochen vorher in einigen Kommentaren die Grenze dessen überschritten, was öffentlich kritisiert werden durfte, und so legte mir mein Chefredakteur nahe, mich mit diesem Text zu rehabilitieren.

Die Arbeit, die ich ablieferte, hatte den Titel: „Dreißig Jahre danach – worüber beschweren sich die Jugendlichen in Kuba?“ Sie wurde nicht nur nie veröffentlicht – sie kostete mich den Job in der Zeitung und meinen Beruf als Journalist.

Am 1.Januar 1999 wird die Revolution vierzig Jahre alt – und heute freue ich mich, daß der Text damals nicht veröffentlicht wurde. Nicht, weil ich inzwischen eingesehen hätte, daß er zu kritisch war, sondern weil ich merke, daß er absolut apologetisch war.

Alle Welt kennt den 1.Januar 1959 als Tag des Sieges der Revolution. Was niemand genau weiß, ist das genaue Datum, wann diese Revolution fehlgeschlagen ist. Ich sage nicht „zerstört wurde“, sondern „fehlgeschlagen ist“. Um zu bewerten, ob die „kubanische Revolution“ fehlgeschlagen ist, genügt es, die Versprechen mit den Ergebnissen abzugleichen. Die geweckten Erwartungen mit dem entstandenen Frust.

1959 versprach man uns „Brot und Freiheit“. Heute ist das Brot auf ein Stück von 80 Gramm am Tag rationiert. Und das Wort „Freiheit“ taucht im Parteiprogramm gar nicht auf.

1965 versprach man uns, daß in weniger als fünf Jahren so viel Milch produziert werden würde, daß die Kubaner gar nicht in der Lage wären, sie zu konsumieren, selbst wenn sich die Bevölkerungszahl verdreifachen würde. Heute erhalten nur Kinder unter sieben Jahren einen Liter Milch täglich.

Als in den 80ern 100.000 Kubaner in die USA flohen, da wurde das unter dem Schlachtruf „Raus mit dem Abschaum!“ als glückliche Säuberung bejubelt. Die Dollars, die die Exilierten an ihre Verwandten auf der Insel schicken, bilden heute eine der wichtigsten Einkommensquellen der Nation.

1992 wurde die „Sonderperiode in Friedenszeiten“ unter dem furchterregenden Motto „Sozialismus oder Tod“ ausgerufen. Wenn nicht inzwischen einige kapitalistische Wirtschaftsmaßnahmen in Kuba eingeführt worden wären, würden die Menschen an Hunger sterben. So hat die Realität ihr eigenes Motto durchgesetzt: Kapitalismus oder Tod.

Wir, die wir an all das geglaubt haben, müssen heute eine bittere Pille schlucken. Wir müssen erkennen, daß die kubanische Revolution schlußendlich doch nur ein Winkelzug des Kalten Krieges war. Wenn es sie heute noch gibt, dann nur deshalb, weil es den Unternehmern einiger Länder an Klassenbewußtsein fehlt, so daß sie investieren und mit einer Regierung Handel treiben, die ihren Besitz ohne Zögern verstaatlicht hätte, wenn sie sich vor 1959 in Kuba etabliert hätten.

Wenn der Chefredakteur jener Zeitung (die heute wegen Papiermangels nur noch sonntags erscheint) mich heute um einen Text zur kubanischen Jugend am 40. Jahrestag der Revolution bitten würde, dann müßte ich sicherlich nicht die Tausenden von Mädchen erwähnen, die sich in den letzten fünf Jahren prostituiert haben. Auch nicht die vielen Akademiker, die ihren Universitätstitel an den Nagel gehängt haben, um als Taxifahrer oder Kellner Geld zu verdienen. Ich würde meinen Text nicht mit dem Foto von Jugendlichen illustrieren, die die US-Fahne auf ihrer Kleidung exponieren, auch die politischen Gefangenen würde ich nicht erwähnen, genausowenig wie Kubas Auslandsschulden. Ich wäre bestimmt nicht so taktlos, eine Kirche zu zeigen, die mit Jugendlichen überfüllt ist, die das nach 30 Jahren Atheismus gerade erst wieder erlaubte Weihnachtsfest feiern.

Nein. Diesmal würde ich wirklich die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, um mich zu rehabilitieren, und ich würde jene frühen Reden, diese blendenden Versprechen, für die unsere Generation sich zu opfern bereit war, im vollen Wortlaut veröffentlichen. Und ich würde folgenden Titel vorschlagen: „Vierzig Jahre später...“ Reynaldo Escobar

lebt als Journalist in Havanna. Er hat in Kuba Berufsverbot.