Hoffnungsträger gegen Buchhalter

■ In 20 Tagen wird der Herausforderer von Eberhard Diepgen per Urwahl nominiert. Bis dahin streiten sich Klaus Böger und Walter Momper ums richtige Profil. Momentaufnahmen einer Kandidatenkür

Es ist ein vielbemühter Brauch, Gesprächspartner aufs Glatteis zu führen, indem man sie Halbsätze vervollständigen läßt. Walter Momper jedoch ist ein gewiefter Gast, auch wenn er im Kulturzentrum der anatolischen Aleviten mitten im Arbeiterbezirk Wedding Rede und Antwort stehen muß. „Im Islam sind Frauen und Männer...“ testet Gastgeber Kenan Kolat vom Türkischen Bund den potentiellen SPD-Bürgermeisterkandidaten. „Ja, das kann ich nur bestätigen“, grinst Momper. Applaus und Gelächter sind sein Lohn.

Die Vorlage „Die Abschiebung von Bürgerkriegsflüchtlingen...“ hingegen kontert der gutgelaunte Genosse gerne: „...ist unmoralisch, nicht notwendig, reine Propaganda.“

Im übrigen findet der ehemalige Regierende Bürgermeister zu Zeiten des Mauerfalls auch, daß der innenpolitische Sprecher der SPD- Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Hans-Georg Lorenz, sich in einem Zeitungsinterview voll im Ton vergriffen hat, als er erklärte, die geplante unbegrenzte Zulassung doppelter Staatsbürgerschaften bereite Probleme, und manche Immigranten seien lediglich „auf Pässe aus, um hier Sozialhilfe zu bekommen“.

Da müsse Lorenz wohl irgend etwas mißverstanden haben, so Momper. „Schließlich hat die Regierung meines Wissens nicht vor, die deutsche Staatszugehörigkeit künftig für 17,80 Mark auf dem türkischen Basar zu verkaufen.“ Überhaupt seien ihm jede Menge Deutsche bekannt, die „auch nur Sozialhilfe abzocken“. Solche Äußerungen seien „neben der Sache und nicht klug“.

Klaus Böger hat es schwer neben Walter Momper in dem überwiegend türkisch besetzten Saal. Anders als der Stimmungsmacher Momper, der sich sichtlich wohl fühlt in seiner Rolle, darauf hinzuweisen, was die derzeitige Politik alles versäume, ist dem von den Parteifunktionären bevorzugten Kandidaten offenbar sein Parteibuch auf dem Weg zu dem abendlichen Termin nicht abhanden gekommen. Integration, so Böger, sei nämlich – „auch wenn das unbequem ist, will ich auch hier nichts beschönigen“ – ein „zweiseitiger Prozeß“. Natürlich müsse der Staat Angebote machen – die müßten allerdings auch angenommen werden.

Auch hier scheut sich Böger nicht, eine „gewisse Anpassungsleistung“ einzufordern, geißelt den dringend notwendigen Spracherwerb der Migranten als „den entscheidenden Faktor“, erklärt, es gäbe zwar keine deutsche Leitkultur, aber dennoch eine im Fluß befindliche und dennoch deutsche Kultur. Auch hier verteidigt Böger die umstrittenen Äußerungen Otto Schilys, bemüht, sie in ein anderes Licht zu stellen, wenn er sagt, es sei nun einmal faktisch so, daß ein Einwanderungsgesetz nicht in dem Sinne benötigt werde, daß eine bestimmte Anzahl bestimmter Berufsgruppen in Deutschland gebraucht werde.

Und während Momper am liebsten das deutsche Ausbildungssystem umkrempeln würde und findet, daß man „auch im Dönerladen eigentlich Einzelhandelskaufmann werden kann“, bietet Böger den Diskurs über eine Politik der kleinen, aber konkreten Schritte: „Ich will mich gerne dafür stark machen, daß Einbürgerungsanträge künftig schneller bearbeitet werden können.“ Zum Ausbildungssystem wie auch zu der Frage eines Schulfaches Islamkunde hat Böger, diese Formulierung benutzt er heute abend oft, und damit hat er wohl auch recht, eine „differenziertere Meinung“.

Die Zuhörer, unter ihnen viele SPD-Genossen ausländischer Herkunft, gehen populistischen Sprüchen aus ihrer eigenen Partei ohnehin nicht auf den Leim. „Wir leben hier seit über 30 Jahren“, sagt einer, „sind Schriftsteller, Journalisten und Filmemacher geworden. Dann verraten Sie mir doch bitte einmal, warum die SPD es bis heute nicht geschafft hat, uns zu integrieren. Oder können Sie mir Abgeordnete zeigen, die Immigranten sind?“

Jeannette Goddar