: Brautpaar in der Katastrophe
Zwischen populärer Graphik und Historienmalerei: Das Alte Museum Berlin zeigt den britischen Satiriker William Hogarth und seine deutschen Bewunderer ■ Von Katrin Bettina Müller
Keine gesellschaftliche Klasse genügt den Normen ihrer Moral. So jedenfalls will es der Bilderkosmos des englischen Satirikers William Hogarth (1697–1764). In den Kupferstichen „Die vier Stufen der Grausamkeit“ (von 1751) agieren die Anatomen, die auf dem letzten Blatt den Leichnam eines Mörders sezieren, legitim und unter den Blicken richterlicher Autorität, mit den gleichen Gesten wie die tierquälenden Kinder auf der ersten Seite. Diese hängen Katzen am Schwanz auf, spießen Hunde auf und zwingen sie an Luftballons aufgehängt zu Flugexperimenten. Jene werfen das Herz eines Gehängten einem Hund zum Fraß vor, durchbohren sein Auge und sammeln die Därme in einem Faß. Ihr Forscherdrang ist nicht minder suspekt als die Grausamkeit der Kinder.
Mit einfachen Vorbildern für den Tugendsamen konnte Hogarth nicht dienen. Die Vielschichtigkeit seiner gedrängten Kompositionen unterscheidet den Bild- Aufklärer und Chronisten von dem Kreis seiner deutschen Bewunderer, in den ihn eine Ausstellung im Alten Museum stellt. Die Graphiken des Engländers fanden in Deutschland schnelle Verbreitung, unterstützt von Dichtern wie Lessing, Schiller und Lichtenberg.
In der bildenden Kunst dagegen blieb die Rezeption zurückhaltend: Den kleinen Radierungen Daniel Chodowieckis etwa fehlt die Lust an der virtuosen Inszenierung des Chaos. Er stellte in seinen schematischen Bildtraktaten „falsch“ und „richtig“ in Lehrbeispielen gegenüber, die das Gute zugleich mit dem Anmutigen und Natürlichen identifizieren und nur das Böse der Karikatur überlassen. In den Blättern des jüngeren Johann Heinrich Ramberg (1763 bis 1840) wird nur noch das Lächerliche ausgestellt, von den lebensbedrohlichen Folgen des Fehlverhaltens ist nichts mehr zu spüren. Erst in den Radierungen von Max Klinger, Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, gewinnt das Bildgeschehen wieder eine flirrende, irritierende Mehrdeutigkeit. Doch da geht es längst nicht mehr um eine Begründung der Stände aus ihrem ethischen Verhalten. Im Netz der psychologischen Verstrickungen, in dem Klingers Opfer zappeln, bilden moralischen Normen nur noch schwachen Halt.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die „Marriage a la mode“ (1742/43), die bekannteste Bilderzählung von Hogarth, die erstmals auch in der gemalten Fassung in Deutschland zu sehen ist. Hogarth schildert in sechs Stationen die aus Kalkül geschlossene Ehe zwischen einer Kaufmannstochter und einem verarmten Adelssproß, die in Verschwendung, Betrug, Duell und Selbstmord mündet.
Schon in der ersten Szene kündigt Caravaggios Medusenhaupt hinter dem Brautpaar, das sich bei der Vertragsschließung gelangweilt den Rücken kehrt, die kommenden Katastrophen an. So kommentieren Zitate aus der Kunstgeschichte Blatt für Blatt den Stand der Dinge, eröffnen andere Zeithorizonte, verweisen auf Parallelen aus der Bibel und Mythologie.
Heute erscheint nicht zuletzt Hogarths Methode, mit dem Bild im Bild weitere Bezugssysteme zu öffnen, als Vorgriff auf die Moderne. Er selbst allerdings mußte sich mit dem hierarchisch geordneten Gattungsgefüge des 18. Jahrhunderts herumschlagen, das seinen Bildern aus Schuldtürmen und Irrenhäusern, von Börsenkrächen und Lotteriespielen, von Wahlbetrug und Korruption allenfalls den Status von Genreszenen, nicht aber den der Historienmalerei zugestehen wollte.
Hogarth war indes keineswegs allein mit der Popularität der weitverbreiteten Graphiken zufrieden, sondern beanspruchte, die Historienmalerei um brennende Themen der Gegenwart erweitert zu haben. Er wollte beides: öffentliche Präsenz und Tagesaktualität der graphischen Medien und den Status repräsentativer Kunst. Schon deshalb konnte er auf die Malerei nicht verzichten. Dabei beruhte selbst sein wirtschaftlicher Erfolg auf den gestochenen Blättern, seit er sich 1735 erfolgreich für den Schutz der Urheberrechte eingesetzt hatte. Seine Bilder hingegen verkauften sich schlecht.
Tatsächlich neigt man vor den Originalen, die seit 1823 in der National Gallery gehütet werden, der Ansicht Fontanes zu: „Es gibt vielleicht keinen zweiten Maler, dem es so wenig nötig wäre, im Original gesehen zu werden.“ Erst beim Blättern im Katalog, der die Malerei durch Ausschnittsvergrößerungen dramatisiert, im Museum kaum erkennbare Hintergründe aufhellt und durch die Nahsicht auf das Krakelee für die Kostbarkeit der alten Farbschichten sensibilisiert, kommt die Malerei doch noch zur Geltung. Dieses Paradox, daß sich der Reiz des Originalen erst in der Reproduktion erschließt, paßt nicht schlecht zu der Hogarthschen Komplexität.
Bis 28.2., Altes Museum, Berlin (am 31. Dezember geschlossen); 25.3. bis 20.6., Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/Main
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