Analyse
: Rettung ist möglich

■ Warum 8.000 Verkehrstote im Jahr 1998 ein Zeichen der Hoffnung sind

Den Glauben, daß sich etwas bessern könnte auf der Welt, gestattet sich der kritische Zeitgenosse nur in seltenen Momenten. Spätestens wenn der Weihnachtsgottesdienst vorüber ist, kehrt der Profipessimismus zurück in die Denkstuben deutscher Zeitungsleser wie -schreiber: Ob es um die Verwirklichung der Menschenrechte geht oder um die Chancen einer ökologischen Trendwende – im ausgehenden 20. Jahrhundert gehört es zum guten Ton, die Lernfähigkeit des Menschen zu bezweifeln. Verheißt nun ausgerechnet die Statistik der Verkehrstoten des Jahres 1998 die Hoffnung, daß der Homo sapiens zur Einsicht fähig ist?

Unbestreitbar ist die Zahl der Opfer gruselig hoch – und doch ist sie so niedrig wie noch nie seit Beginn der Zählung 1953. Das Statistische Bundesamt rechnet in seiner Prognose für das ablaufende Jahr mit weniger als 8.000 Toten. Im Vorjahr starben noch rund 8.500 Menschen im Straßenverkehr. Damit setzt sich der drastische Rückgang bei den Todesopfern fort, den die Experten seit bald dreißig Jahren registrieren: 1991 wurden in Deutschland 11.300 Verkehrsteilnehmer getötet, auf dem Höchststand im Jahr 1970 starben in BRD und DDR zusammengenommen 21.300 Menschen.

Wie erklärt sich diese Entwicklung? Die Zunahme des Verkehrsaufkommens spricht eigentlich gegen den Rückgang bei den Unfallopfern: 1953 waren in Deutschland 1,3 Millionen PKW zugelassen, heute sind es knapp 42 Millionen. Trotzdem lag die Zahl der Todesopfer damals mit 12.600 um fünfzig Prozent über den 8.000 dieses Jahres. Es gibt also auf deutschen Straßen immer weniger Tote, obwohl es immer mehr Autos gibt. Ein Paradox?

Nur scheinbar. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, weist einen inneren Zusammenhang auf: Mit der Wandlung zur Autogesellschaft hat sich auch das Bewußtsein gewandelt. Für Industrie und Staat, Autofahrer und Fußgänger hat Sicherheit heute eine andere Priorität als vor dreißig oder fünfzig Jahren. Zum einen kommen die Fahrer selbst inzwischen häufiger mit dem Leben davon. Die Fahrzeughersteller setzen bei Neuerungen inzwischen auf Extras wie Airbag, ABS und vergrößerte Knautschzonen. Seit den frühen siebziger Jahren schützt auch der Staat Fahrer vor den Folgen eigener Tollkühnheit, so mit der stufenweisen Einführung von Helmpflicht für Motorradfahrer, der Gurtpflicht vorne und hinten sowie dem Führerschein auf Probe. Doch auch die schwächeren Verkehrsteilnehmer profitieren, vor allem dank der Tempo-30-Zonen. Zwischen 1991 und 1997 ging die Zahl der getöteten Fußgänger fast um vierzig Prozent zurück, während der durchschnittliche Rückgang bei 24 Prozent lag. So verbirgt sich hinter der Verkehrsstatistik eine Hoffnung: Umdenken ist möglich. Patrik Schwarz