Ein praktischer Desinfektor

■ Humanitätsanwandlung deplaziert: Die Firmengeschichte der Hamburger Zyklon-B-Händler Tesch & Stabenow

Die Gasmaske im Schoß, das Parteiabzeichen der NSDAP am Revers, umgeben von Männern der SA, der Wehrmacht und der deutschen Zivilverwaltung des „Generalgouvernements Polen“: So wirbt der Dr. phil. Bruno Tesch auf einem Photo aus dem Jahr 1940 für seine Firma. Sie heißt Tesch & Stabenow, kurz Testa, hat ihren Sitz in Hamburg und will ihren Beitrag leisten – zur „Entwesung“ des eroberten „Lebensraums im Osten“. Sie vertreibt Zyklon B, ein Blausäuregas, das alles Ungeziefer – zumindest jeden Warmblüter – binnen Minuten tötet. Drei Jahre später liefert die Testa über zwölf Tonnen Zyklon B allein nach Auschwitz.

Die Händler des Zyklon B. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz nennen Jürgen Kalthoff und Martin Werner das Protokoll ihrer sechsjährigen Recherchen über die hanseatischen Händler des Gifts. Es ist eine Geschichte, deren Ungeheuerlichkeit auf leisen Füßen daherkommt. Sie beginnt mit der Giftgasproduktion im ersten Weltkrieg, bei der sich Bruno Tesch (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Altonaer Widerstandskämpfer) seine wissenschaftlich-vaterländischen Sporen verdient. „Zyklon B und Kulturfortschritt“, Gas und Ungeziefer, sind die Pole, um die das Denken des promovierten Chemikers Tesch sein Leben lang kreist. „Durchgasen“, „Ausgasen“, „Entwesen“: Darin sieht der Mann mit dem harmlosen Äußeren eines Oliver Hardy ohne Bärtchen seinen Auftrag. Und im Prosperieren seiner Firma, die er 1924 zusammen mit dem Hamburger Kaufmann Paul Stabenow gründet.

Die Autoren folgen Bruno Tesch anhand einer Fülle von Fotos und Dokumenten durch die Gedanken- und Geschäftswelt der „Schädlingsbekämpfung“ in den Zwanziger Jahren, durch Rechtsstreite um Absatzgebiete und Lieferbedingungen, beschreiben seinen Sieg im Kampf um das Monopol zum Blausäure-Einsatz bei der Entrattung einlaufender Schiffe im Hamburger Hafen und sein zähes Streben nach dem Alleinbesitz der Testa. 1942 ist er am Ziel. Er bildet Wehrmachts- und SS-Angehörige im fachgerechten Einsatz von Zyklon B aus – Kundenbetreuung ganz im Sinne des Praktischen Desinfektors, der Hauspostille der deutschen Kammerjäger.

Dort wird im Juni 1941 formuliert, was die „probateste Brutstätte für Ungeziefer und Schmutzkrankheiten“ ist: das Judenghetto, angesichts dessen „irgendwelche Humanitätsanwandlungen“ denn auch „deplaciert“ sind. Zur gleichen Zeit befiehlt Adolf Hitler die „Endlösung der Judenfrage“. Die Testa liefert. Und liefert.

In seinem Büro im ersten Stock des Meßberghofs weiß Testa-Chef Tesch auch nach „Besuchen“ der Konzentrationslager Sachsenhausen und Neuengamme angeblich nichts von der Endbestimmung seines Handelsgutes Zyklon B. Das englische Militärgericht, vor dem Bruno Tesch 1946 im Curio-Haus erscheinen muß, glaubt ihm das nicht und läßt ihn hängen. Seit 1997 erinnert eine Tafel am Meßberghof (gegenüber dem U-Bahneingang) an den „Händler des Zyklon B“ und seit einigen Wochen ein grausig-faszinierendes Buch.

Heinz-Günter Hollein

Jürgen Kalthoff/Martin Werner: „Die Händler des Zyklon B“, VSA, Hamburg 1998, 256 Seiten, zahlr. Abb. und Dokumente, 39,80 Mark