Chronik einer keuschen Liebe

Das Diaphragma zählt zu den verträglichsten Verhütungsmitteln, ist aber etwas umständlich in der Anwendung. Ein Grund, weshalb die Gummimembran selbst bei Ärztinnen in Vergessenheit geriet und fast vom Markt genommen worden wäre? Ein Bericht über die aufreibende Suche nach den letzten Exemplaren eines Verhütungssauriers  ■ Von Andrea Schildknecht

Juni. Es ist Frühsommer, und die Hormone schlagen plötzlich Purzelbäume. Allein seine Stimme bringt meine Ovarien zum Vibrieren. Pizza, Pasta, Zabaione verschlingen wir bei unserm Lieblingsitaliener und uns schon beinah mit den Augen, als meine schwindenden Sinne ein Funkspruch vom Verstand erreicht: Stop, erst muß ein neues Diaphragma her.

Damals ahnte ich noch nichts von der längst gefallenen Entscheidung einer Pharmafirma und von dem dunklen Schatten, den sie auf unser junges Glück werfen sollte. Arglos holte ich mir einen Termin bei meiner Frauenärztin.

Anfang Juli. Mit dem Ergebnis der Vermessungsarbeiten in meinem Inneren zeigt sich meine Frauenärztin sehr zufrieden. Bei der gewohnten Größe könne ich ruhig bleiben, sagt sie. „Wollen Sie das alte wieder mitnehmen?“ Zwischen meinen aufgebockten Knien sehe ich das kleine runde Gummiding schon Richtung Mülleimer entschwinden. Ich unterdrücke eine halbsekundenlange sentimentale Regung. „Nein, danke.“ Es hätte ohnehin nur noch Museumswert. Wenn ich mich recht entsinne, wird die Gummihaut nach zwei Jahren spröde, die Spermiensperre kann durchlässig werden.

Mein Rezept löst in der nächsten Apotheke eine ausgedehnte Sucherei aus. Dann eine verdächtig lange Recherche im Computer, schließlich hochgezogene Augenbrauen seitens der Apothekerin, begleitet von einem bedauernden Kopfschütteln. „In dieser Größe haben wir's leider nicht da. Soll ich's Ihnen bestellen?“ Klar soll sie. Ihr Blick wird mitfühlend. „Darf ich Ihnen solange was anderes empfehlen?“ Ich schüttele den Kopf. Mein Schwarm ist ohnehin in Urlaub. Wenigstens eine Karte könnte er mal schreiben.

Eine Woche später. Als ich mein Diaphragma abholen will, hat sich ein Lieferengpaß aufgetan. Daß es so was in Mitteleuropa auch bei Verhütungsmitteln geben kann, war mir unbekannt. Doch meine Apothekerin versichert, bei allen ihren Großhändlern gefragt zu haben: „Tut mir leid!“ Vor lauter Anteilnahme wirkt sie aufrichtig betrübt. Ich bin es noch mehr. Und folge seufzend ihrem Rat, weitere Apotheken abzuklappern.

Stunden später sind meine Füße plattgelaufen, das Rezept zerknittert mehr von Mal zu Mal – komplette Fehlanzeige. Nur hier und da sind noch ein paar Restexemplare vorhanden, sozusagen in XXS oder XXL. Ich komme mir vor wie im Sommerschlußverkauf, die gängigen Größen sind zuerst weg. Wieder blicke ich in anteilnehmende Apothekerinnenaugen. „Irgendwann im August“ soll „75 Millimeter“ wieder erhältlich sein.

Bei einem weiteren keuschen Treffen flicht mein Schwarm ganz nebenbei ein, daß er Kondome haßt. Entnervt fahre ich meinerseits in Urlaub, in meinem Koffer eine Kopie der Schicketanz-Studie von 1985, „Das Scheidendiaphragma – seine Wirksamkeit in der Anwendung“.

Letzte Juli-Woche. Das waren noch Zeiten, als Frau Schicketanz über das Diaphragma promovierte. Die größte Pilleneuphorie war verebbt, seit den Siebzigern erlebte das Diaphragma seine zweite Blütezeit. Im Spiegel von achthundert Fragebögen lese ich meine eigene Verhütungsbiographie: Nach mehreren Jahren Pille keinen Bock mehr auf Hormone und erst recht keine Lust auf die Prozedur mit dem Pessar. Nicht mehr länger „allezeit bereit“, sondern „Verhütung sichtbar machen“, genau das wollten wir doch mit dem Diaphragma.

Was ich nicht wußte: Als ich es für mich „entdeckte“, war es schon mehr als hundert Jahre alt. Das erste Exemplar moderner Bauart bastelte ein Dr. Wilhelm P.J. Mensinga aus Flensburg, und 1883 schrieb die holländische Ärztin Aletta Jacobs über eine Kappe aus vulkanisiertem Gummi, die an einem Ring aus Uhrfederstahl befestigt war. Pearl-Index 2 bis 4, errechnete Renate Schicketanz aus den Daten ihrer Umfrage. So sicher wie Kondome. Ich schreibe meinem Schwarm ein sehnsüchtiges Kärtchen.

Mitte August. Zurück aus dem Urlaub, bin ich wohl im falschen Film gelandet. Gar nichts ist lieferbar. Bevor ich einen Anfall kriege, erbarmt sich meine Apothekerin und ruft beim einzigen deutschen Vertreiber an. Die grausame Wahrheit kommt ans Licht: Janssen-Cilag hat hierzulande den Vertrieb eingestellt. Aus, Schluß, nix mehr Diaphragma. Jedenfalls nicht das altbewährte Ortho-Teil. Ich fasse es nicht. Bin ich jetzt endgültig ein Verhütungssaurier?

Ach, ihr Mitstreiterinnen von damals! Schwestern, die ihr zuwenig Diaphragmen kauftet! Wo seid ihr alle hin? Schon im Klimakterium? Die Stimme der Apothekerin rettet mich aus emotionalen Strudeln: „Bestellung aus dem Ausland“, höre ich, sei die letzte Möglichkeit. Einziger Hersteller des Ortho-Diaphragmas ist eine Schwesterfirma von Janssen-Cilag in den USA. Dort ist das Diaphragma noch im Handel, ebenso in England und der Schweiz. Wieder blicke ich in teilnehmende Apothekerinnenaugen. Also rufe ich bei einer sogenannten internationalen Apotheke an.

„Freilich kostet es aus dem Ausland etwas mehr“, sagt eine Apothekerin, deren Augen ich diesmal nicht sehen kann. Sechzig oder siebzig, aus den USA gar hundert Mark. Ich lasse den billigsten Importweg heraussuchen und – ach ja – wie lange wird es dauern? „Zehn bis vierzehn Tage.“ Aber was sind schon zwei Wochen, wo ich dem kleinen runden Ding seit mehr als zwei Monaten hinterherlaufe. Ich bestelle. Und suche tefonischen Trost bei Pro Familia – dort, wo ich vor nunmehr fünfzehn Jahren fachfraulich in seiner Anwendung unterwiesen worden war.

September. Dr. Ruth Eichmann ist die erste, die kein bißchen überrascht wirkt. „Es war zu befürchten, daß die Firma es vom Markt nimmt“, sagt die Ärztin, seit 25 Jahren bei Pro Familia in Frankfurt. Sie hat die steigende Nachfrage nach dem Diaphragma in den Siebzigern miterlebt und spricht mir mit ihren Worten aus der Seele. „Das Diaphragma ist eine partnerschaftliche Verhütungsmethode. Das sind Pille oder Spirale nicht so. Es ist keine Einstiegsmethode. Das Diaphragma eignet sich für Frauen, die sich anfassen können und wollen. Und die Interesse an ihrem Körper haben.“

Was Ruth Eichmann aber auch bemerkt hat: daß Frauen heute wieder seltener nach dem Diaphragma fragen. Zum Teil liege dies aber auch an den Ärztinnen und Ärzten, von denen sich nur wenige mit der Methode auskennen. Inzwischen werde die Beschaffung ein bißchen teurer. „Aber die Apotheken sollten wissen, daß der Großhandel übers Ausland noch drankommt.“ Sinnend lege ich auf. Deutlich mehr als vierzehn Tage sind seit meiner Bestellung vergangen.

Mein Schwarm ist in eine andere Stadt gezogen. Er hat schon länger nichts mehr von sich hören lassen.

Oktober. Den Grund für all die Warterei ist mir Janssen-Cilag aber noch schuldig, finde ich. Ich rufe an. Ein paar Tage später quillt die Antwort aus dem Fax: Nach der Novelle des deutschen Medikamenten-Produktionsgesetzes von 1997 hätte Janssen-Cilag die Beipackzettel und die äußere Umhüllung ändern müssen, was „bei der geringen Stückzahl zu erheblichen Mehrkosten geführt hätte“. Und: „Da die Lieferprobleme immer wieder zu deutlichen Verstimmungen unserer Kundinnen führten, haben wir uns auch aus wirtschaftlichen Gründen entschlossen, den Vertrieb in Deutschland nicht mehr fortzusetzen.“

Hurra. Beim Heimkommen finde ich ein Päckchen vor der Tür. Mein diaphragm, made in USA , importiert über England und mit einem Beipackzettel in Englisch versehen, Kostenpunkt 67 Märker, inklusive samenabtötendem Gel. Ich überweise den Betrag, mittlerweile mit Galgenhumor. Ob mein Import auch zur Anwendung kommt, ist mehr als ungewiß.

Dezember, Nachtrag. Ich kann mir nicht verkneifen, in einer großen Apotheke meiner Stadt noch mal die Testfrage zu stellen. Überraschung: Inzwischen ist alles gar kein Problem. Im ersten Anlauf weist der Computer eine Bezugsquelle in Frankreich aus, mit einem Fuffi wäre ich dabei. Dienstbereit lächelt die Apothekerin. Na ja, vielleicht ein andermal. Spätestens im März 2003 brauche wieder eins. So weit reicht das Verfallsdatum meiner Neuerwerbung – aber nur bei Nichtgebrauch.

Andrea Schildknecht, 38, lebt als freie Journalistin in Mannheim