Unverschämtheit mit Goldschnitt

Brockhaus – Fels im Meer der Unwissenheit. Vom Aaltierchen bis zum Zytoplasma haben die dicken, roten Bände immer eine Erklärung parat. Vor kurzem haben die Mannheimer Lexikonmacher eine neue Reihe gestartet: „Länder und Städte“. Der sechste Band behandelt das Thema „Irland – Dublin“. Ein schweres Buch mit 512 Seiten – und ein teures: Der Band kostet 185 Mark.

Er ist in sieben Kapitel und einen Anhang mit Literaturhinweisen, Register und Karten unterteilt. Beim genaueren Vergleich stellte sich heraus, daß Brockhaus den uralten Apaführer zu Irland in weiten Teilen einfach nachgedruckt hat. Und der war schon 1991 veraltet.

Fast der gesamte Teil „Irisches Kaleidoskop“ ist mindestens zehn Jahre alt, lediglich Fintan O'Tooles Text über die Rolle der Kirche ist von 1994. Die Texte sind sprachlich minimal bearbeitet, inhaltlich überhaupt nicht: So hofft O'Toole noch immer auf das Recht auf Ehescheidung, das 1996 längst gewährt wurde. David Norris setzt sich für die Aufhebung des Antischwulengesetzes ein, was ebenfalls schon geschehen ist. Die traditionelle irische Musik ist, wenn man den Brockhaus liest, bei den Furey Brothers, Clannad und den Chieftains stehengeblieben. Manche Statistiken, die angeführt werden, sind mehr als zwanzig Jahre alt.

Der Reiseteil ist erweitert, aber kaum aktualisiert worden. Dublins Rive gauche, die Temple Bar, ist auf dem Stand von vor sechs Jahren. So manche Whiskeysorte und so mancher vom Brockhaus empfohlene Pub existieren nicht mehr.

Die Provinz Ulster, von deren neun Grafschaften sechs Nordirland bilden, besteht plötzlich aus sieben Grafschaften. Das Kapitel über Nordirland, „Männer im Marschtritt“, hat hohen Heiterkeitswert: Da werden die Oranierparaden als „ausgelassene Umzüge“ bezeichnet, bei der es um die „irische Begeisterung für Musik und Musikkapellen“ geht, und „den ganzen Sommer über liegen schottische und gälische Dudelsackspieler in Dörfern und Kleinstädten im friedlichen Wettstreit miteinander“. Offenbar liest man bei Brockhaus nur Lexika und keine Zeitungen. Jedenfalls nicht solche neueren Datums.

Die ersten 75 Seiten sind für den Band neu geschrieben und sorgen für Verwirrung, weil sie aktueller sind und dem antiquarischen Teil deshalb bisweilen widersprechen. Es ist der einzige brauchbare Teil des Schinkens.

Auch die alten Apafotos, die kein Klischee auslassen, sowie das Kartenmaterial hat Brockhaus übernommen. Dem Buch liegt ein Blatt mit einem „wichtigen Hinweis zur Pflege Ihrer Brockhaus Bibliothek“ bei: Der Band sollte nicht naß gewaschen oder mit Scheuermitteln bearbeitet werden, weil sonst der dekorative Goldschnitt flöten geht. Ja, das Buch hat einen Goldschnitt. Das Kompendium ist nichts als eine pompöse Unverschämtheit zwischen zwei Buchdeckeln. Ralf Sotscheck

Brockhaus – Die Bibliothek. Länder und Städte. Irland – Dublin, herausgegeben von der Brockhaus-Redaktion, Leipzig/Mannheim 1997, 512 S., 185 Mark