Der Mann, die Stadt und der Mythos

Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossak wechselt die Seiten: Er wird Berater von Bodenspekulanten. Ein Porträt der „Ära Kossak“  ■ Von Florian Marten

Was für ein Glück: Egbert Kossak, der schnellzüngige kleine Mann mit Fliege und Fotoapparat, der achtzehn Jahre lang redend, kungelnd und knipsend in der Hamburger Stadtentwicklung mitmischen durfte, bleibt der Hansestadt auch nach seinem Rauswurf aus dem Amt des Hamburger Oberbaudirektors erhalten. Als privater Consulter wird er ab Montag Investoren beraten.

Vorbild Kossaks dürfte der Ex-Bau- und Wirtschaftssenator Volker Lange (SPD) sein, der seit Jahren als beratender Begleiter von Immobilienprojekten demonstriert, wie sich Insiderkontakte im Geschäft mit Grund und Boden auszahlen. Allerdings verfügt Kossak zwar über exzellente Kenntnisse und Kontakte in die Hamburger Verwaltung – mit Volker Langes politischem Einfluß kann er jedoch nicht konkurrieren. Zu Kossaks unverwechselbaren Eigenschaften zählt es schließlich, daß er sich im Dickicht der Hamburger Sozialdemokratie nie ganz zurechtfand.

„Hamburg hat mich sehr verwirrt.“ Noch immer blickt Egbert Kossak mit leichtem Staunen zurück in jenes seltsame Jahr 1981, als den jungen Architekten ein Anruf seines alten Kumpels, des damaligen Bausenators Volker Lange – gemeinsames Jobben auf dem Bau – ereilte. Kossaks klammheimlicher Wunsch war es schon immer gewesen, den Großkopferten seiner Vaterstadt einmal zu zeigen, wo Bartel den Beton holt.

Zwar rechnete er mit fachlichen Widerständen, aber von den politischen Schwierigkeiten hatte er keine Vorstellung: „Ich war – natürlich – kein Parteimitglied und hatte es zunächst sehr schwer, mich im Gestrüpp von Partei, Bezirk und Verwaltung zurechtzufinden, wo ja nicht selten die Senatoren am Gängelband ihrer Bezirke laufen.“ Kossak hatte es bei seinen bisherigen Jobs anders, einfacher und handlungsorientierter erlebt: Man nehme Investor, Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor, setze sich mal kurz in die Ratsstube – und fertig ist der Plan.

Doch nicht nur Orientierungsprobleme bremsten den Selbstdarsteller. Weit schlimmer war das Desinteresse seines langjährigen Dienstherren, des SPD-Bausenators Eugen Wagner. Kossak: „Wagner interessierte sich nicht für Stadtentwicklung.“ Der Oberbaudirektor durfte zwar den flotten Kommunikator spielen, jede Art konzeptioneller Arbeit aber war „geblockt“. Und wehe, er mischte sich in Fragen ein, die nach Wagners Verständnis politisch gewichtig waren. Gefährlich erschien Wagner auch Kos-saks Drang, sich wenigstens mit der Macht des Wortes durchzusetzen. „Wenn du mit allen redest“, so drohte ihm Wagner einmal, „dann schließe ich dich von allen Informationen aus.“

So war Kossak gezwungen, sich „ein System zu entwickeln, mit dem ich Konsensbildung in Teilräumen erreichen konnte“. Seine Lösung lautete: „Der Flächennutzungsplan bin ich!“ Kossak hangelte sich an Einzelprojekten entlang und erhielt nach und nach von Wagner auch „Freiheiten“, sich um die „innere Stadt“ zu kümmern. Konflikte zuhauf gab es allerdings in Sachen Verkehr und Stadterneuerung. Während Kossak beim Thema Verkehrsentwicklung gegen die Autoriege der Baubehörde nicht den kleinsten Stich bekam, konnte er sich in Fragen der Stadterneuerung schon mal durchsetzen. So paßte sich der Mann, der ein Amt ausüben sollte, das seit den Zeiten seines großen Vorgängers Fritz Schumacher in den 20er Jahren von einem gewissen Mythos umweht ist, schnell an jenen typisch hamburgischen Politikstil der Schwachen an, die sich irgendwie durchwursteln.

Sein wichtigstes Verdienst bleibt der meist erfolgreiche Kampf für architektonisches Mittelmaß bei den Großprojekten von Investoren und Öffentlicher Hand. Mit Klinkereinheitsrot, später zunehmend aufgemischt durch Glas und pulverbeschichteten Stahl, wurde jeder Versuch großer Architektur oder großer Fehlschläge im Keim erstickt.

Wichtig für eine derart homogene Stadtentwicklung war die Übereinstimmung zwischen dem Oberbaudirektor und einer Reihe mit ihm zusammen gealterter Hamburger Architekturkoryphäen, die einen Gutteil der Stadtreparatur Hamburgs mit ihren Büros begleiten durften. Nicht nur gemeinsame Segeltörns verbanden. Die diskursive Entwicklung einer betulich modernen Formensprache, die Sozialisation der Stehempfänge sowie der gemeinsame Hintergrund von Ausbildung, Alter und Arbeitgeber schufen jene eigentümliche Kossak & Co KG: die wirkungsvolle Affinität von Oberbaudirektor und vier, fünf großen Architektenbüros, welcher die Hamburger Innenstadt ihr gepflegtes Mittelmaß-Design verdankt.

Die eigentliche Erfolgsgeheimnis jener Ära bestand aber im Unterlassen: Wagner ließ Kossak rumwursteln und Kossak ließ die Stadtsanierer in Bezirken und Baubehörde ebenso vor sich hinwursteln wie die ihm nahen Architekten. Linke Sozialdemokraten durften sich in alternativen Sanierungsträgern austoben. Der Stararchitekt und Kossak-Kritiker Meinhard von Gerkan registriert durchaus anerkennend: „Hamburg blieb von den Verunstaltungen der Postmoderne verschont.“

Und tatsächlich: Die reiche Innenstadt, im Herzen einen richtigen steinernen „roten Platz“, trotzt mit Passagen und betonmischerfrischem Klinker-, Glas- und Stahlgetüm dem schlechten Wetter und dem Verdacht, in Deutschland gebe es keine richtigen Großstädte. Selbst das Sterben des traditionsreichen City-Einzelhandels und der Vormarsch der Kettenläden geschieht in Hamburg unauffälliger als anderswo.

Wer aber glaubt, hinter dem republikweit glorifizierten Aufblühen der Hamburger Passagenviertel in der Innenstadt stecke ein Konzept, wird durch die tatsächlichen Abläufe widerlegt: Der Passagenboom ist einzig der Kreativität von Grundstückseigentümern geschuldet, die das Innere ihrer Blöcke besser nutzen wollten und dabei von der Stadtplanung nicht behindert wurden. Auch der Schritt ans Elbufer, die Entdeckung der Wertsteigerungspotentiale am Hafenrand, ist trotz der „Perlenketten“-Eloquenz des Oberbaudirektors mitnichten eine Kossak-Erfindung.

Im Gegenteil: Der Bau der Hafenrandstraße kennzeichnet einen letzten und bis heute bösartig erfolgreichen Versuch, den Abstand zwischen Stadt und Fluß zu vergrößern. Auch hier waren es Investoren, die den Drang zum Wasser in den Köpfen der neuen Dienstleistungseliten dankbar aufgriffen. Kossak blieb lediglich das Verdienst, wie schon beim Passagenboom, neue Trends der Bodennutzung blitzartig aufzugreifen und zum stadtplanerisch Gewollten zu veredeln, eine Marketingstrategie, welche die Investoren und Grundstückseigentümer mit Wohlwollen goutierten.

Die Verwechslung von Innenstadt mit Stadt, ein Fehler, der gegenwärtig auch die Stadtsanierung in den neuen Bundesländern trotz vieler guter Ansätze am Kern des Problems vorbeisanieren läßt, gilt in besonderer Weise auch für Hamburg. Gewerbegebiete, Stadtrand, Einfamilienhausbau? Gerkan über Kossak: „Das hat ihn nie interessiert.“

Tatsächlich sucht man die backsteinpflegerische Hand Kossaks in den Wüsteneien der Hamburger Peripherie vergeblich. Wüste Autoschneisen, abscheuliche Gewerbegebiete, architektonischer Wildwuchs und eine bebauungsplanmäßig geförderte Stadtflucht entschuldigt Kossak mit dem Hinweis, „es fehlte eine konsensfähige Vision von der Entwicklung bis zum Jahr 2000.“ Zugleich räumt er ein, er habe „städtebaulich bei den Gewerbeflächen versagt. Statt uns ans Tabu Hafengebiet oder an Wilhelmsburg und Billbrook heranzutrauen, haben wir Wilder Westen wie zum Beispiel im Gewerbegebiet Allermöhe getrieben.“ Mit später Weisheit räumt Kossak ein: „Das Flächenthema ist mir erst Ende der 80er Jahre bewußt geworden.“

Tatsächlich hat Kossak in seinen letzten Amtsjahren, als er unter dem kühlen Macher und Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD) zunehmend kaltgestellt wurde, einen radikalen Kurswechsel vollzogen. Praktische Ergebnisse dieser Erkenntnisse sucht man zwar vergebens, ihre analytische Schärfe bleibt allerdings davon unberührt. Kossaks energisches Fazit: „Es ist undenkbar, die 7.500 Hektar des Hafengebietes auf Dauer aus der Stadtentwicklungspolitik auszuklammern!“

Wenn Kossak sagt: „Die zentrale Aufgabe der nächsten 20 Jahre heißt: Wir müssen rationeller mit dem Boden umgehen!“, dann weiß er inzwischen sogar, wie das zu bewerkstelligen wäre. Fragt man ihn, was denn geschehen müsse, damit seine Altersweisheit in wirkliche Stadtpolitik münden könne, dann zieht er zunächst resignierend an seiner Pfeife: „Manchmal frage ich mich, ob das alles noch Sinn macht.“ Doch dann, quirlig wie eh und je, springt er zu seinen Schaubildern und schwärmt von möglichen Maßnahmen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß Kossaks Stern zu sinken begann, als das Durchwursteln hätte zu Ende gehen können, weil mit der 1991 installierten Stadtentwicklungsbehörde (StEB) endlich eine Planungsbehörde entstand. Weder unter der ersten StEB-Senatorin Traute Müller (SPD) noch unter Müllers Nachfolger Thomas Mirow gelang es Kossak, sein quirliges Solistentum in ein vernünftiges Stadtentwicklungsmanagement zu überführen. Ob man ihn nicht ließ, oder ob er es gar nicht konnte?

Kossaks reichlich würdeloser Abgang, zu dem der in der Sache durchaus berechtigte Vorwurf Meinhard von Gerkans gehört, der Oberbaudirektor habe eine kleine Architektenconnection bevorzugt, überdeckt seine Erfolge, die besonders in den 80er Jahren zum Tragen kamen: Als Kommunikator und Backsteinfetischist hat er Hamburg vor allem durch das Unterlassen baulicher Experimente sein heutiges, wohltuend mittelmäßiges City-Antlitz verschafft. Strukturelle Stadtentwicklung, wie sie einst Altmeister Fritz Schumacher so nachhaltig betrieb, war Kossaks Sache dagegen nie. Der fortschreitenden Zerstörung Hamburgs durch Zersiedelung, Bürohauswüsten und Gewerbeschuhkartons hat er nie Einhalt geboten, sie sogar trotz seiner immer heftigeren verbalen Kritik mitgeplant.

Wenn er in Zukunft seine alten Segelboot-Kumpel gegen richtig gutes Geld berät, dann ist er – und dies ist ganz ohne Häme gemeint – wieder richtig in seinem Element: Dann kann er kommunizieren, sich an Einzelprojekten austoben, über schlecht funktionierende Diaprojektoren schimpfen ....