Vom Nutzen der Unterwerfung

■ Bomben auf Bagdad (I): Ist der Bruch des Völkerrechts eine Schuld, aus der Gutes fließt, weil sie die Welt unter eine Befehlsgewalt stellt?

Stünde die „tragische Figur des Jahres“ zur Wahl, so käme der Titel für 1998 Joschka Fischer zu. Wer hätte ohne Erschütterung zusehen können, wie er – sichtlich gebrochen – nach der jüngsten Bombardierung Bagdads den Satz murmelte, den Clinton und Albright ihm vorgesprochen hatten: Die Verantwortung für diesen Angriff trage allein Saddam Hussein! Joschka Fischer hat einen Kotau vor der amerikanischen Macht vorgenommen, über dessen Richtigkeit die Geschichte urteilen wird. Die Frage, die ich erörtern möchte, lautet: Darf man sich dieser Macht, die das Völkerrecht verachtet, beugen, oder muß man sich gegenüber der UNO, die allein völkerrechtlich legitimiert ist, unbedingt loyal verhalten?

„Brüder, sollen wir uns unterwerfen?“ hieß vor 20 Jahren ein Buch, in dem Texte über den indianischen Widerstand gesammelt waren. „Brüder, sollen wir uns unterwerfen?“ hätte Joschka Fischer vor seinem Kotau die grüne Basis fragen können, und die Antwort wäre sehr uneinheitlich ausgefallen. Das kann in einer tragischen Situation auch nicht anders sein: Wie man es macht, ist es verkehrt.

Es ist offensichtlich verkehrt, einen Völkerrechtsbruch gutzuheißen – was Fischer getan hat. Aber was wäre verkehrt daran, den geraden Weg zu gehen und den USA die Stirn zu bieten? Es wäre innerhalb der fragilen rot-grünen Koalition taktisch unklug. Aber auch wenn man ein höheres Ziel im Auge hat, als die Grünen an der Regierung zu halten, gibt es Gründe, die für den Kotau sprechen. Auch und gerade, wenn man auf die friedliche Welteinigung aus ist, mag es klug sein, sich den Vereinigten Staaten zu unterwerfen.

Es ist unrealistisch, die friedliche Welteinigung, die Welt-Gewaltmonopolisierung, die so dringend ansteht, von einer freiwilligen, völkergemeinschaftlichen Übereinkunft zu erwarten. Es ist realistisch, die Weltzentralisierung als Ergebnis gewaltsamer Unterwerfung anzusehen. Wahrscheinlich kann sich die Weltpolitik nur dann in eine Weltinnenpolitik verwandeln, wahrscheinlich können die unkontrollierten militärischen Auseinandersetzungen nur dann von gezieltem polizeilichem Eingreifen abgelöst werden, wenn sich eine imperialistische Macht – und das können nur die USA sein – endgültig durchgesetzt hat.

Wenn es um die Weltföderation geht, lassen sich aus dem analogen Prozeß, der in den vergangenen Jahrhunderten auf nationaler Ebene zu einer erfolgreichen Gewaltmonopolisierung führte, Lehren ziehen. Es war nicht weniger schwierig, innerhalb der einzelnen Nationen die Befehlsgewalt zu zentralisieren, als es jetzt ist, in globalem Umfang den Einzelmächten die militärische Souveränität abzuringen. Genauso verbissen wie sie wurde in früheren Zeiten das Fehderecht von den feudalen Zwischenmächten verteidigt.

Damals gab es eine Theorie, die der Gewaltmonopolisierung den entscheidenden Schub gegeben und die Bürgerkriege beendet hat: die Theorie Thomas Hobbes'. Aus ihr kann man lernen, daß es Illusion wäre, auf einen konsensualen Weltkontrakt zu warten. Legt man Hobbes' Erfahrungen zugrunde, werden die Einzelmächte ihre militärische Souveränität nicht freiwillig abgeben. Bei Hobbes ist zwar, nach antikem Vorbild, die Rede von einem Gesellschaftsvertrag, durch den die souveräne Macht eingesetzt wird; er betrachtete ihn aber nicht als historische Realität, sondern als Fiktion. In seinem Konzept erfolgt die nationale Machtzentralisierung nämlich durch die Durchsetzung der stärksten Macht, der man sich nach seiner Empfehlung zu unterwerfen hat. Hobbes' Theorie ist der Lobpreis der Kapitulation gegenüber dem Sieger; sie bewirkte die Überwindung des mittelalterlichen Denkens, in dem die Treue gegenüber der Partikularmacht an erster Stelle stand.

Bei strenger Betrachtung könnte man Fischers Kotau als Kollaboration mit der Siegermacht verurteilen – und es ist gerade diese Betrachtungsweise, die Hobbes bekämpft hat. Er wußte, daß die um des Friedens willen notwendige Bündelung der Macht ohne Rücksicht auf die Legitimität der Herrschaft zu geschehen hatte. „Es gibt nämlich kaum eine politische Macht in der Welt, deren Anfänge vor dem Gewissen gerechtfertigt werden können.“ Sein „Leviathan“ endet mit dem pathetischen Aufruf, zugunsten der nationalen Zentralisierung ein Verhalten an den Tag zu legen, das man früher als Verrat verurteilt hätte. Sein Gedanke war: Wer den Schutz einer Macht genießt – und sei es, daß es sich um Gewaltherrschaft handelt –, erklärt quasikontraktuell seine Unterwerfung unter ihre Hoheit und ist ihr anschließend die unbedingte Loyalität schuldig. In dieser Lage aber befinden wir uns gegenüber den USA. Vielleicht erweisen sich ihre Übergriffe noch einmal als felix culpa; als Schuld, aus der Gutes fließt, weil sie letzten Endes dazu führen, daß die Welt unter einer einheitlichen Befehlsgewalt steht.

Stellt man sich die Weltföderation als Kristallisation um einen bereits vorhandenen Kern, die USA, vor, so kann man sich immerhin in der Frage der demokratischen Struktur der globalen Supernation beruhigen. Denn dieses Problem bringt die Weltgewaltmonopolisierung ja unausweichlich mit sich: Wie wird die globale Befehlsgewalt rechtsstaatlich kontrolliert und ausbalanciert? Die amerikanische Vormachtstellung in der Weltvereinigung gibt einer demokratischen Form eine gute Chance. Als Erweiterung der bereits Vereinigten Staaten hätte die Weltrepublik eine Verfassung, die den naturrechtlichen Prinzipien des westlichen Universalismus entspräche.

Diese Überlegungen werden mißverstanden, wenn sie so aufgefaßt werden, als ob sie einer imperialistischen Welteroberung den Vorzug vor einer kontraktuellen Einigung gäben. Im Gegenteil wird der einverständliche, dem Völkerrecht entsprechende Weg immer der Königsweg sein, und jeder, der ihn propagiert (wie es jetzt am konsequentesten die PDS tut), steht auf der richtigen Seite. Wahrscheinlich wird das Ringen zwischen der amerikanischen Supermacht und dem Völkerwillen unter der Devise „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ stehen – halb freiwillig und halb mit Gewalt werden die Völker ihre militärische Souveränität an eine oberste Instanz abgeben. Deshalb sind beide Positionen – diejenige, die den Völkerrechtsbruch ablehnt, und diejenige, die ihn hinnimmt – genauso richtig, wie sie beide verkehrt sind. Die Hauptsache ist, daß beide Seiten einander respektieren und das gemeinsame Ziel nicht aus dem Auge verlieren: die Weltföderation. Sibylle Tönnies