Inzest & Isolation

Beau und Nationaldenkmal: Das Metropolis huldigt dem Schauspieler Jean Marais  ■ Von Oliver Rohlf

Das Leben, so soll Jean Marais einmal gesagt haben, sei im hohen Maße unfair. Er selbst hätte Zeit seines Lebens stets nichts als das Beste bekommen. Und als der große französische Schauspieler am 8. November des eben vergangenen Jahres an Herzversagen starb, war dieses Ereignis sogar dem Präsidenten Frankreichs, Jacques Chirac, ein wohlklingendes Statement wert: Durch den Tod Marais', so der Staatsmann, hätten viele Franzosen einen Teil ihrer Träume und ihrer Jugend verloren. Solch Wort-schätze passen wunderbar zu dem Bild, das sich die meisten von der langjährigen Karriere des Mimen gebastelt haben: Der Star als nationale Errungenschaft, ein Monument aus Größe, Würde und Schönheit. Das Metropolis zollt diesen Monat dem umschwärmten Star und Schauspieler Jean Marais mit der Vorführung dreier seiner Filme Tribut.

Der Schwerpunkt liegt dabei natürlich auf der so wunderbaren wie nahezu lebenslangen Zusammenarbeit des Bühnen-, Film- und TV-Darstellers mit seinem Förderer, Freund und Ersatz-Vater Jean Cocteau. Marais hatte den großen Poeten und Regisseur 1937 als 24jähriger kennengelernt. Marais, der so gut wie elternlos aufgewachsen war, arbeitete damals als Fotograf in Paris. Cocteau war angetan von Marais' Männlichkeit, eine Beziehung, die bis zum Tod Cocteaus 1963 andauerte.

In Es war einmal von 1946 verwandelte der Regisseur die märchenhafte Geschichte von der Schönen und ihrem Biest in ein schwarzweißes Filmgemälde aus Surrealismus und reichdekorierter Sagenwelt. Marais spielt darin das bekannte Monstrum jenseits aller Musical-Malignität, welches sich in die gutherzige Bella verliebt. Mitgefühl erfährt hier seine Erfüllung in der Liebe zweier Partner, die für andere gar nicht zueinander passen wollen.

Die schrecklichen Eltern aus dem Jahr 1948 arbeitet weniger symbolisch als systemkritisch. Cocteau skizziert darin die Disfunktionalität kleinbürgerlicher Strukturen und Werte anhand einer ausschließlich auf sich selbst fixierten Familie. Michael begehrt Madeleine, die aber die Geliebte seines Vaters ist. Michael gesteht seiner Mutter sein unerfülltes Sehnen, nicht ahnend, daß diese wiederum mehr für ihren Sohn empfindet, als beiden gut täte. Und letztlich ist da noch die Tante, die, nachdem sich die Mutter umgebracht hat, Michael und Madeleine einander näher bringt, um sich ihrerseits ungestört ihrer großen Liebe, dem Vater, zu widmen. In diesem dialoglastigen Drama verschmelzen Isolation und Inzest auf gefährliche Weise miteinander, das Prinzip Familie wird durch Kalkül und Eigennutz aus den Angeln gehoben.

In der dritten Arbeit dieser Hommage, Gefühl und Verführung von 1996, gleicht Marais' Part einem Zitat seiner selbst: In seiner letzten Filmrolle spielt der damals schon 82jährige einen philosophierenden Alten, der sich in der inspirierenden Hügellandschaft der Toskana seinen Musen hingibt. Für den eigentlichen Drive in Bernardo Bertoluccis Geschichte rund um Künstler-Kitsch und Olivenbäume sorgen die morgenfrische Liv Tyler und der Lolita-erprobte Jeremy Irons. Marais hingegen tat zwei Jahre vor seinem Tod, was er am besten konnte: Er war ein Monument.

Es war einmal: heute und morgen, 17 Uhr; Mi, 6., 19 Uhr; Do, 7. Januar, 21.15 Uhr. Die schrecklichen Eltern: Fr, 8., 19 Uhr; Sa, 9., 21.15 Uhr; So, 10., 17 Uhr; Di, 12. Januar, 19.15 Uhr. Gefühl und Verführung: Do, 21., 17 Uhr; Fr, 22., 19 Uhr; Sa, 23., 19 Uhr; Mo, 25. Januar, 17 Uhr