Mit den Augen stöbern

■ Die Leute im Übersee-Museum bauen sich einen Trödelladen: Bis Ende April muß die Schausammlung „Übermaxx“ fertig sein

„Die ganze Welt unter einem Dach“ wollte Gründungsdirektor Hugo Schauinsland in seinem Übersee-Museum versammeln. Dieses Ziel blieb bis heute unerreicht, vor allem aber war der größte Teil der Exponate für Besucher nicht zugänglich. Etwa 90 Prozent der Ausstellungsstücke warteten in Depots verpackt auf ihren Einsatz, eine für Museen übliche Zahl. Im April soll der einsehbare Anteil auf 30 Prozent ansteigen: Auf 1.800 Quadratmetern zusätzlicher Fläche werden 25.000 Objekte zu sehen sein.

Mit der Eröffnung des Schauarchivs im Kinogebäude am Bahnhof betritt das Übersee-Museum Neuland. Koordinator Peter Junge, eigentlich für die völkerkundliche Sammlung zuständig, will einen neuen Weg der Präsentation gehen. „In den siebziger Jahren wurden die Museen sehr didaktisch“, findet er, „da gab es auf 100 Quadratmetern 65 Erläuterungstexte.“ Im Schauarchiv sollen die Exponate sich selbst erklären und die Vielfalt der Ausstellungsstücke dokumentieren. „Wir haben eben nicht nur eine chinesische Ming-Teetasse, sondern mehrere Meter.“ Daß die Ausstellung den Eindruck eines Trödelladens erwecken könnte, findet er nicht schlimm. „Die Besucher sollen ja darin stöbern, jedenfalls mit den Augen.“

Von den neun Etagen des neuen Gebäudes werden drei der Öffentlichkeit zugänglich, die anderen für Forschungszwecke einsehbar sein. Im Erdgeschoß befindet sich eine Anlage, die künftig Schlagzeilen über Schädlingsbefall verhindern soll: In zwei Kammern können Exponate durch Einfrieren oder durch einen vierwöchigen Sauerstoffentzug von unliebsamen Bewohnern befreit werden. Diese völlig ungiftige Schädlingsbekämpfung könnte einer seit den dreißiger Jahren beherbergten Mottenart ihren einzigen Lebensraum außerhalb Nordamerikas rauben. Bisher boten nur Privatunternehmen solche Säuberungen an, jetzt hat das Übersee-Museum schon erste Anfragen von Besitzerinnen läusebefallener Krokotaschen erhalten.

In den darüberliegenden Stockwerken werden Vitrinen montiert. Deren zukünftiger Inhalt steht teilweise in Kartons bereit, aber es wird auch noch an vielen Stücken gearbeitet. In der Abteilung „Naßpräparate“ sind fünf Leute damit beschäftigt, eingelegte Tiere und Pflanzen aus den Kellergewölben des Museums zu sichten. Die Glasgefäße, die einmal im Schauarchiv die Stämme des Tierreichs illustrieren sollen, werden gesäubert, mit Konservierungsflüssigkeit aufgefüllt und neu versiegelt. Die Sammelexpeditionen der Jahrhundertwende brachten auch aus heutiger Sicht kuriose Stücke nach Bremen: Darunter zwei ordentlich eingelegte Bananen für die damals noch nicht durch Südfrüchte verwöhnten MuseumsbesucherInnen. Direktoren wie Hugo Schauinsland oder Otto Finsch wollten die gesamte Tierwelt erfassen, der Ornithologe Finsch kam seinem Ziel recht nahe: Zeitweise beherbergte das Museum die Bälger von einem Viertel der weltweit bekannten Vogelarten.

Einige dieser Tiere kann man heute nur noch in Museen bestaunen: Sie sind ausgestorben. Viele Präparate sind wissenschaftlich kaum bearbeitet, einige der alten, handschriftlichen Kataloge bei Auslagerungen im Zweiten Weltkrieg verlorengegangen, so daß von vielen Stücken nur wenig bekannt ist. Ähnlich stellt sich die Situation in der völkerkundlichen Abteilung dar, die den größten Teil des neuen Archivs ausmachen wird. Der Schwerpunkt der Sammlung besteht aus Gegenständen aus den früheren deutschen Kolonien, also dem heutigen Kamerun, Togo, Namibia und Tansania. Von 17.000 Objekten aus Afrika sind etwa zehn Prozent bearbeitet. Peter Junge will auch Stücke ausstellen, über die wenig bekannt ist. Die Objekte in den Vitrinen werden nur mit einer Nummer versehen, mit der über Computer die bekannten Daten abgefragt werden können. „Die Museumsbesucher sind also auf dem gleichen Stand wie wir.“ Richtig vervollständigt wird die Computerabfrage erst in einigen Jahren, dann soll die Datenbank auch über das Internet zugänglich sein. Bis dahin könnte sich das zu dokumentierende Wissen vergrößert haben. Das Museum kooperiert mit Universitäten, bei Praktika und Diplomarbeiten komme oft erstaunlich viel Neues heraus, erzählt Junge.

Und wer, glaubt er, wird sich die neue Sammlung ansehen? Junge ist zuversichtlich: Durch die Nähe zum Kino werde ein breites Publikum angesprochen. Außerdem sei ein Schauarchiv auch attraktiv für Sammler, die ihre gespendeten Stücke nicht in einem dunklen Schrank verschwinden sehen wollen. Das Übersee-Museum habe ja den Ruf, durch das Engagement der Bremer Bürger zu seiner Bedeutung gekommen zu sein. „Die können sich jetzt mal ansehen, was wir hier alles so haben.“ Inke Suhr