Großer Bahnhof für Rote Khmer in Kambodscha

■ Hun Sen gerät unter Druck, hohe Funktionäre des Terrorregimes vor Gericht zu stellen

Bangkok (taz) – Der Zimmerservice brachte Tiger-Garnelen mit schwarzer Pfeffersoße. Khieu Samphan, einst Staatschef des Rote-Khmer-Regimes und mitverantwortlich für den Tod von über einer Million Kambodschanern, ließ es sich in der Hafenstadt Sihanoukville wohlergehen. Wie sein politischer Freund Nuon Chea, früher „Bruder Nr. 2“ der berüchtigten Organisation, genoß er zum Jahreswechsel die VIP-Behandlung im „Seaside Hotel“.

Der 67jährige Khieu Samphan und der 71jährige Nuon Chea vergnügen sich in diesen Tagen bei den Sehenswürdigkeiten jenes Landes, das sie zwischen 1975 und 1979 mit Terror und Tod überzogen. Anschließend wollen sie als „einfache Bürger“ ihren Lebensabend in der südwestlichen Grenzregion Pailin verbringen, wo bereits der ehemalige Rote-Khmer- Außenminister Ieng Sary unbehelligt herrscht. Bezahlt wird die Tour von der kambodschanischen Regierung, die sie noch vor wenigen Wochen bekämpft haben. Khieu Samphan und Nuon Chea hatten am ersten Weihnachtsfeiertag als letzte hohe Funktionäre der Roten Khmer aufgegeben. Jetzt lebt nur noch der gefürchtete Militärchef Ta Mok im Untergrund.

Anstatt sie hinter Gitter zu werfen, empfing sie Premierminister Hun Sen mit großem Bahnhof. Starr vor Entsetzen mußten die Kambodschaner zusehen, wie ihre früheren Peiniger hofiert wurden. „Ich verstehe nicht, warum sie nicht festgenommen wurden“, sagt ein Ingenieur in der Stadt Siem Reap: „Ich kann nur hoffen, daß sie irgendwann umgebracht werden, so wie sie meine beiden Brüder umgebracht haben.“

Hun Sen reagierte inzwischen auf die Empörung. Nachdem der Regierungschef zunächst verlangt hatte, ein „großes Loch zu buddeln und darin die Vergangenheit zu begraben“, gab er sich am Wochenende vorsichtiger: Er schließe ein Tribunal gegen die Roten Khmer nicht aus. Dies sei allerdings allein Sache der Justiz.

Hun Sens Rolle ist dabei undurchsichtig. Viele Kambodschaner erinnern sich noch lebhaft daran, daß er vor einem Jahr seinen Kopremierminister Prinz Norodom Ranariddh blutig aus dem Amt putschte. Die Begründung damals: Der Prinz habe illegal mit den Roten Khmer verhandelt.

Was den Regierungschef nun dazu verleitete, die beiden grausamen Alten in seine private Residenz zum Essen einzuladen, bleibt umstritten. Ist dies ein Trick, um die verbliebenen Anhänger und niederen Funktionäre der Gruppe in Sicherheit zu wiegen? Oder wollte sich der Premier auf diese Weise als Sieger über die Roten Khmer präsentieren, die vor nicht so langer Zeit noch zu seiner Ermordung aufgerufen hatten?

Welcher Teufel ritt aber den ehemaligen UNO-Generalsekretär Butros Butros-Ghali, derzeit Chef der Gruppe der Frankophonen Länder, als er Khieu Samphan und Nuon Chea in Phnom Penh fröhlich die Hände schüttelte und sich zudem gegen ein internationales Tribunal aussprach?

Doch jetzt wächst im Ausland ebenso wie in Kambodscha selbst der Druck, die Verantwortlichen der Roten Khmer nicht so einfach davonkommen zu lassen. Frankreich, die USA und Großbritannien fordern einen Prozeß. 17 kambodschanische Menschenrechts- und Bürgergruppen wollen eine halbe Million Unterschriften für ein Gerichtsverfahren sammeln.

Hun Sen erinnerte nun in einer vom Fernsehen übertragenen Rede daran, daß sich die UNO, die USA und andere Länder in der Vergangenheit stets gegen eine Verurteilung der Roten Khmer gewehrt hatten. Khieu Samphan war noch 1991 als gleichberechtigter Partner bei den kambodschanischen Friedensverhandsgesprächen geehrt worden.

Immer stärker gerät das Nachbarland Thailand ins Blickfeld. Vor ihrem Seitenwechsel hatten die Roten Khmer offensichtlich auf thailändischem Boden Schutz gefunden. Sie waren von Thailand aus in einem Wagenkonvoi nach Pailin gebracht worden. Schon früher seien bei Verhandlungen mit Überläufern stets thailändische Offiziere präsent gewesen, berichtete Premier Hun Sen jetzt. Journalisten registrierten, daß Kinder Nuon Cheas auf kambodschanisch gestellte Fragen kaum verstanden – sie sprachen lieber thailändisch.

Zwar bestreitet Bangkok vehement, den Roten Khmer Unterschlupf gewährt zu haben. Doch es ist ein offenes Geheimnis, daß es enge geschäftliche und persönliche Beziehungen zwischen den Roten Khmer und thailändischen Militärs gibt, die sich von ihrer zivilen Regierung in der Vergangenheit wenig sagen ließen. Aus Angst, die Roten Khmer könnten Peinliches über die enge Zusammenarbeit verraten, hätte sich Thailand geweigert, sie festzunehmen, sagte Hun Sen am Wochenende: „Um der reinen Moral willen bin ich gezwungen, die Wahrheit zu sagen.“ Jutta Lietsch