„Die PDS ist nicht strategiefähig“

Zwei Wochen vor dem Parteitag üben Vorstandsmitglied André Brie und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch heftige Kritik an der eigenen Partei. Die PDS habe inhaltliche Defizite und verkläre die DDR-Vergangenheit  ■ Von Jens König

Berlin (taz) – André Brie und Dietmar Bartsch machen sich Sorgen um ihre Partei. Die beiden Politiker aus dem engsten Führungskreis der PDS mußten mit ansehen, wie aus der Partei, die eben noch einen großen Erfolg bei der Bundestagswahl feiern durfte, in ein paar Wochen ein Interessenverband für gescheiterte DDR- Funktionäre und inhaftierte Stasi- Agenten wurde. Erst forderte die rechtspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Bundestag eine Amnestie für verurteilte DDR- Staatsbedienstete samt einer Haftentschädigung, und jetzt soll auch noch der Stasi-Topspion Rainer Rupp für die PDS-Fraktion in Bonn arbeiten. Zwei Wochen vor dem PDS-Parteitag fürchten die strategischen Köpfe Brie und Bartsch, Vorstandsmitglied der eine, Bundesgeschäftsführer der andere, um das öffentliche Erscheinungsbild ihrer Partei. Sie versuchen, in die Offensive zu kommen – indem sie mit der PDS hart ins Gericht gehen.

Brie wirft seiner Partei erhebliche inhaltliche und strategische Defizite vor. Die Partei könne insbesondere ihren programmatischen Anspruch, links von der SPD zu stehen, inhaltlich nicht definieren, sagte er in einem Interview der Berliner Zeitung. „Verbal sind wir darin Weltmeister, aber es fehlt noch viel Substanz“, so Brie. Die PDS sei seiner Meinung nach „völlig unfähig“, die großen gesellschaftspolitischen Fragen, auch die Auseinandersetzung mit der rot- grünen Bundesregierung, in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Sie sei nicht in der Lage zu definieren, was soziale Gerechtigkeit heute bedeute, wenn man nicht einfach die Positionen von Rudolf Dreßler vertreten wolle.

Brie, der gern als Vordenker der PDS bezeichnet wird, hat in den letzten Jahren mit provokanten Thesen seine Partei des öfteren aus ihrem programmatischen Tiefschlaf gerissen. Zum wiederholten Male wirft er ihr jetzt vor, daß sie sich zu sehr in den eigenen Kreisen bewege. Sie sei seit Jahren nicht „strategiefähig“. Auch die Bereitschaft der PDS, die DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten, nehme ab. Für das Amnestiegesetz hätte man diplomatisch werben müssen, so Brie. Die PDS hätte sich nicht zum Vorreiter machen dürfen.

Bartsch teilt diese Kritik. Die Art und Weise, wie die PDS für eine Amnestie eintritt, habe bewirkt, daß der Vorschlag „faktisch tot“ sei. Der Wunsch nach einer Amnestie müsse aus der Mitte der Gesellschaft heraus kommen. Der Bundesgeschäftsführer, der gleichzeitig im Bundestag sitzt, hält vielen Mitgliedern der Partei und der Fraktion in Bonn vor, ihnen sei noch nicht bewußt geworden, daß die PDS ein Machtfaktor neuer Qualität ist. Wenn die Partei aber nicht stärker mit ihren zentralen Politikangeboten öffentlich wahrgenommen wird, sondern mit Randthemen wie dem Amnestie- Vorschlag, so Bartsch, „dann werden Stimmengewinne schwierig“.

Wie nicht anders zu erwarten, erntet insbesondere Brie für seine Äußerungen Widerspruch in den eigenen Reihen. PDS-Sprecher Hanno Harnisch wies die Äußerungen als „teilweise unberechtigt“ zurück. Wenn Brie der PDS strategische Defizite vorwerfe, dürfe er nicht vergessen, daß er durch seine Funktion im Parteivorstand selbst ihr oberster Stratege sei, sagte Harnisch. „Es geht nicht an, sich pausenlos als Zuchtmeister der Partei aufzuspielen.“ PDS-Politiker in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern bewerteten die Kritik als übertrieben. In den Landesverbänden von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen hingegen stießen die Äußerungen Bries auf weitgehende Zustimmung.

Für Brie und Bartsch dürfte damit ihr vordergründiges Ziel erreicht sein: Sie haben die PDS in eine innerparteiliche Diskussion verwickelt. Daß ihnen die Genossen auf dem Parteitag in Berlin inhaltlich folgen werden, ist damit jedoch nicht gesagt.