Eigenarbeit statt Lohnarbeit – ein Modell mit Zukunft?

■ Im Münchner Haus der Eigenarbeit stellen viele Menschen ihre Konsumgüter selbst her

Berlin (taz) – Für sein neues Bett wählte Jan Kurz eine ausgeklügelte Konstruktion. Der Bettkasten ist dank eines Stecksystems leicht auseinanderzunehmen, was Umzüge sehr erleichtert. Oben drauf liegt eine zwei mal zwei Meter große Platte, die mit mehreren Matratzen wahlweise als Sitzgelegenheit oder Schlafstätte ausgestattet wird.

„So etwas gibt es im Geschäft nicht“, sagt der 24jährige Kurz. Deswegen hat er sich das Möbel im Münchener Haus der Eigenarbeit (HEi) selbst gebaut. Dort stehen die Maschinen, die in Kurz' Keller fehlen. Dort erteilen Handwerksmeister Ratschläge, wie Abrichte und Fräse funktionieren. Maximal zwölf Mark kostet es, eine Stunde die Säge und Hobelbank zu nutzen. Nach zwei Nachmittagen war Architekturstudent Kurz fertig.

„Das Bett hätte ich mir normal gar nicht leisten können“, sagt er. Im Laden kosten vergleichbare Modelle 1.000, vielleicht 1.500 Mark. Natürlich hätte Jan Kurz einige Tage zusätzlich in einem Job arbeiten können. Um so das nötige Geld zu verdienen, hätte er jedoch mehr Zeit aufwenden müssen, als die zwei Nachmittage in der Werkstatt des HEi. Selbstproduktion war in diesem Fall die effizientere Arbeitsform.

Eigenarbeit statt Lohnarbeit – ein Modell in Zeiten grassierender Arbeitslosigkeit? Vielleicht, aber nur mit begrenzter Reichweite. „Eigenarbeit kann Lohnarbeit nicht ersetzen, höchstens ergänzen“, sagt Hans-Peter Hüsch von der Forschungsgesellschaft „anstiftung“, die das Haus 1987 gründete. Zwar sind etwa 19 Prozent der BesucherInnen erwerbslos – mehr als der Anteil Arbeitsloser an der Münchener Bevölkerung. Doch aus der Befragung der NutzerInnen des HEi weiß Hüsch, daß der finanzielle Beitrag zur Maschinennutzung für Leute mit wenig Geld eine Hürde darstellt.

Trotzdem erfreut sich das HEi auch jenseits der Münchener Stadtgrenzen einiger Beliebtheit. Hüsch reist regelmäßig ins thüringische Wolfen, um das dort gerade eröffnete „Kreativzentrum“ zu unterstützen. Auch in Lauchhammer bei Cottbus und Kassel sollen Einrichtungen entstehen, die auf den Münchener Erfahrungen basieren.

Die Eigenarbeitsprojekte profitieren von einer speziellen Konjunktur: Die Debatte um den „dritten Sektor“ der Wirtschaft hat an Schwung gewonnen. Das Codewort „dritter Sektor“ beschreibt dabei alle wirtschaftlichen Aktivitäten, die sich nicht primär durch den Verkauf ihrer Produkte auf dem Markt finanzieren. Hausarbeit gehört ebenso dazu wie ehrenamtliche Beschäftigung, Arbeitslosenprojekte und politische Initiativen, die von Sponsorengeld leben.

Die Hoffnungen in die meist un- oder schlechtbezahlten Tätigkeiten gründen unter anderem darin, daß diese nach Ermittlungen des internationalen John-Hopkins- Projektes in neun Industriestaaten, darunter Deutschland, zwischen 1990 und 1995 um 23 Prozent zunahmen, während die übrige Ökonomie nur um sechs Prozent zulegte. Kritische Ökonomen halten es deshalb für möglich, daß der „Non-Profit-Sektor“ einen Teil der wegbrechenden Arbeitsplätze der herkömmlichen Ökonomie ersetzen könne. Klar ist aber auch, daß der dritte Sektor unter anderem wegen seines recht bescheidenen Umfangs mittelfristig keine entscheidende Lösung der Massenarbeitslosigkeit bieten kann.

Ins Haus der Eigenarbeit kommen durchschnittlich 56 Leute pro Tag. Die Produktion von Gebrauchsgütern stellt dabei nur eine Facette dar. Als mindestens ebenso wichtig empfinden viele die Möglichkeit, kreativ zu sein und sich mit anderen gemeinsam zu betätigen. Nicht zuletzt wegen der sozialen Bindungswirkung des Projektes unterstützt die Stadt München das HEi großzügig: Aus den kommunalen Kassen stammen rund 35 Prozent der Mittel, weitere zehn Prozent kommen vom Arbeitsamt. Mit 325.000 Mark kann das HEi knapp die Hälfte seines Haushaltes selbst erwirtschaften. Hannes Koch

Haus der Eigenarbeit, Wörthstr. 42, 81667 München, Tel. (089) 4480623, Fax: 48952204; anstiftung, Hans-Peter Hüsch, Daiserstr. 15, 81371 München, (089) 7474600