Kraft der drei Herzen

Im Berliner Indiemusikland konnte man 1998 eine Menge Spaß haben, und auch das neue Jahr fängt mit Platten von Jeans Team, Art Of Kissing und Monoland gut an  ■ Von Gerrit Bartels

Das letzte Wort beziehungsweise die letzte Berliner Platten- Veröffentlichung des vergangenen Jahres gehörte der Galerie berlintokyo mit ihrer Spielkreis-Weihnachtssingle „Komm an den Ofen“. Eher als Weihnachts-, Benefiz- und Band-Aid-Verarsche gedacht, lief die Single plötzlich auf Fritz und Radio 1, verkaufte sich über 500mal und bewies, daß sich auch in Berlin die gute alte Indiemusik auf einem immer größer werdenden Resonanzboden wiederfindet.

Obwohl vielerorts mit einem Club weiterhin Sounds wie House und Techno assoziiert werden und der Begriff „Clubbing“ eher Ausgehen und Tanzen meint als Ausgehen und Eine-Band-Gucken, hat sich an der Schnittstelle von Club, Bar, Galerie und Wohnzimmer auch ein großer Raum mit einem florierenden Indiemusikbetrieb aufgetan: Schon lange jedenfalls hat es nicht mehr soviel Spaß gemacht, (Indie-)Musik aus Berlin zu hören.

„Komm, steh auf und sei dabei, komm an den Ofen, da ist es heiß, es gibt Kuchen, es gibt Eis“, singen sie da alle zusammen auf der Weihnachtssingle ganz herzzerreißend und bestätigen sich damit bewußt oder unbewußt, wie gut das letzte Jahr auch im Hinblick auf den eigenen Zusammenhalt und kreativen Austausch gefiel.

Sag ja zum Lo-Fi-Recording, heißt die Losung, gespielt wird, wo auch immer, auf elektronischen Instrumenten genauso unbefangen wie auf analogen. Sag nein zu Zurückgezogenheit, Angst vor Öffentlichkeit, Beharren auf narzißtischer Individualität. Man tauscht sich lieber aus, feiert zusammen, gründet Kleinstlabels für die eigenen Platten und guckt ansonsten, wer da sonst noch so guckt. Insbesondere bei den ausverkauften Konzerten von Mina im Roten Salon und Contriva und Barbara Morgenstern im Maria waren das eine ganze Menge, und selbst beim Abschiedskonzert von Wohnung im Kunst&Technik war es voller als an leider allzu vielen Abenden in den in diesem Jahr dann auch hingeschiedenen Traditionslocations Loft oder Huxley's.

Und trotzdem: Die meisten Bands lassen sich weiterhin Zeit mit dem Unterschreiben von Labelverträgen und dem Veröffentlichen von Platten, bisher steht nur ein Longplayer von Mina beim ortsansässigen Label Bungalow an. Von dort hatten auch Jeans Team ein Angebot, das die beliebteste Berliner Boygroup wegen Unentschlossenheit und der Labelfarbe von Bungalow (mit der Betonung auf easy) aber nicht annehmen wollte. So haben die vier Jungs mal einen Labelvertrag, mal keinen, was sie aber auch nicht zu stören scheint („diese jungen Bands scheinen alle keinen richtigen Ehrgeiz zu haben“, raunt es da auch schon mal durch die Flittchen-Bar), sind mal auf dieser Compilation vertreten, mal auf jener und bescheiden sich vorerst mit zwei Singles bei Myriam Brügers Hamburger Label Nadel Eins. War man von ihrem „Boy Talk“ auf dem Spielkreis-O3-Sampler schon etwas irritiert, um nicht zu sagen enttäuscht – der Song eierte orientierungslos durch Zeit und Raum, der war noch nicht verklungen, da hatte man den schon vergessen –, so sind die beiden Singles die kongeniale Umsetzung ihrer oft furios-burschikosen Live-Auftritte.

„Hi Fan“ und „Ein Atom“ sind unkatalysiert energische Stepper mit ganz viel Elektronik, Bass and Drums sowie lyrikfreien Strophen und Refrains. Die spalten Welten, haben die Kraft der drei Herzen und die verspielte Brutalität der besseren Italo-Western. Die B-Seiten mit jeweils zwei Songs fallen da naturgemäß etwas ab, aber nur weil das Sujet ein anderes ist: kleine, kuschelige Spielzeugmusik, die Puppenstubenwände erschüttert und Kinderherzen erwärmt, doch nicht nur die. Einziges Problem der Singles, bei aller Liebe zu den extrakleinen Vinylformen: Alle Songs sind viel zu kurz, und das dauernde Zum-Plattenspieler- Rennen macht eben doch müde.

Daß man aber nicht nur auf der faulen Haut liegt beim Jeans Team, beweist Bassist Franz, der zusammen mit der Girlie-Pop-art- Künstlerin Evelin auch noch in der Band Art Of Kissing spielt. Deren Single „Kiss Mountain“ erscheint auf dem von Evelin zusammen mit Minitchevs Alex gegründeten Fucky-Label (Netzwerke ahoi!), und wie weiland die legendären, leider aber auch unzuverlässigen und faulen Zen-Faschisten haben Art Of Kissing gleich zehn Lieder auf die Single gepreßt, Lieder mit so schönen Titeln wie „Barock 'n' Roll“, „Rock The Clock“ oder „Here Comes The Male Nudes“. So richtig straight und singer-/ songmäßig sind diese aber nicht: Es geht eher darum, auseinanderzufallen und genau das Gütesiegel spazierenzuführen, das man Indierock in den Achtzigern immer so gern verpaßte: schräg.

Art Of Kissing machen die schönen elektronischen Oberflächen kaputt und ritzen Brezel Görings Bonmot „Synthesizer degenerieren“ nicht ungekonnt ins Vinyl. Atmosphärisch entspricht das dem oft leeren und irgendwie traumatisiert wirkenden Gesichtsausdruck des Mädchens auf Evelins Bildern. Noch höher als der Niedlichkeitsfaktor scheint hier wie da der Verletzte-Seele-Faktor zu sein.

In einem gänzlich anderen Land dagegen musiziert die Viererbande mit dem vielsagenden und spekulativ Verwirrung stiftenden Namen Monoland. Auf deren selbstbetiteltem Debütalbum ist alles drauf, was es an bewußtseinserweiternden und -einengenden Drogen so gibt: Psychedelika, Hypnotika, Acid und Barbiturate und vor allem natürlich: Gitarren. Als hätte es eine Band wie My Bloody Valentine nie gegeben, werden hier Noiserock, dünne Stimmchen, Melancholie, Feedbacks, Erhabenheit, Melodien, Schwingungen, Polyrhythmik und was weiß ich nicht alles aufs innigste miteinander verwoben. Das aber ganz unprätentiös: Daß My Bloody Valentines Album „Loveless“ von großem Einfluß auf Monoland gewesen sei, gibt man gerne zu Protokoll, wohlwissend, daß die Musik einer großen Band auch viele Jahre später noch genug Raum, Ideen und Begeisterung für eine andere bereithält.

Wie so viele im Moment dürfen auch Monoland das Etikett „beste Berliner Band“ auf ihren Instrumentenkoffern tragen, nicht unverdient natürlich, und eigentlich bleibt für das neue Jahr nur zu hoffen, daß die vielbeschworene „große Zukunft“ für sie alle schon längst begonnen hat. Und wenn nicht oder die Zukunft gar nie beginnt: Spaß macht es trotzdem.

Jeans Team: „Hi Fan“ und „Ein Atom“ (Nadel Eins); Art Of Kissing: „Kiss Mountain“ (Fucky Label), alle drei erhältlich in der Ackerstr. 150/151, Tel. 2832977

Monoland: Monoland (Noiseworks Records)