Vorsorge heißt: Im Zweifel nein

Der Chef des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, begrüßt den rot-grünen Koalitionsvertrag als „kluge Strategie“. Benzin sollte um 50 Pfennig pro Liter teurer werden  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Der Chef ist über den Regierungswechsel erleichtert, vermuten viele Mitarbeiter im Umweltbundesamt (UBA). Das ist keineswegs selbstverständlich, schließlich hat er ein CDU-Parteibuch. Doch inzwischen ist auch klar, daß die rot-grüne Koalition an Andreas Troge festhalten will. Der lobt nicht nur den „außerordentlich schnellen Antritt“ der neuen Regierung, die nicht das übliche halbe Jahr gebraucht hat, bis die ersten Gesetzentwürfe im Bundestag vorlagen.

„Wichtiger für die Legislaturperiode scheint mir die Koalitionsvereinbarung in Gänze zu sein – wobei nicht nur der Umwelt-, sondern auch der Landwirtschafts- und Verkehrsteil mitzulesen sind und auch die Dienstleistungsorientierung in der Verwaltung.“ Daß viele Punkte offen formuliert seien, erscheint Troge da als „kluge Strategie“. Es sei nicht sinnvoll, „jetzt Kochbücher zu schreiben mit vielen Details“.

Und er sieht auch unabhängig vom Regierungswechsel eine Zeitenwende: „Wir merken immer mehr, wie wenig wir eigentlich wissen über das Geröll, das wir lostreten, wo es ankommt und was es verursacht.“ Vor zehn Jahren habe so niemand über die hormonellen Auswirkungen von Stoffen gesprochen. Jetzt müsse man in diesem Bereich sogar Paracelsus' These in Frage stellen, daß die Wirkung mit der Dosis ansteige. „Es wird ernsthaft diskutiert, daß wir bei hormonellen Stoffen im Niedrigdosisbereich eine große Wirkung haben, im mittleren Bereich keine und im Hochdosisbereich wieder große Wirkungen“, erklärt Troge. Solche Erfahrungen zwängen zur Vorsicht. Nachhaltige Entwicklung heiße, das Nichtwissen als gegen uns gerichtet aufzufassen.

Im Gentechnikbereich sieht sich das Umweltbundesamt mit einer wachsenden Zahl von Freisetzungsbegehren konfrontiert. Ein Veto haben die Beamten nie eingelegt, aber seit zwei Jahren erteilen sie die Genehmigung häufig nur unter der Auflage intensiver Begleitforschung. „Wir müssen die Risiken beurteilen. Wir wollen nicht nur sehen, was passiert, sondern auch verstehen, warum“, meint Troge. Dieses Anliegen werde glücklicherweise vom Koalitionsvertrag unterstützt. Sollten die Behörden mit ihren Erkenntnissen nicht hinterherkommen, müsse die Geschwindigkeit der Freisetzungen reduziert oder die Genehmigung befristet werden – eine unbefristete Genehmigung, so Troge, erscheine ihm zutiefst unökonomisch, wenn erst später klar werde, welche unerwarteten Wirkungen es möglicherweise gibt. „Vorsorge heißt: Im Zweifel nein.“

Wozu aber braucht man überhaupt genmanipulierten Mais? „Das ist in der Tat zu fragen“, räumt der UBA-Chef ein. Aber in einer freiheitlichen Gesellschaft könne keine staatliche Stelle über Bedarf oder Nichtbedarf entscheiden. Das UBA sehe seine Aufgabe deshalb darin, die Folgen abzuwägen: Ist eine gentechnisch veränderte, herbizidresistente Pflanze oder der Einsatz von Pflanzenschutzmittel ökologisch vorzuziehen? „Es geht um eine Bewertung des relativen Vorteils.“ Doch Troge sieht neben den Risiken auch Chancen durch Gen- und Biotechnik. Insbesondere im Pharmabereich könnten sich Möglichkeiten zur Reduzierung von Müll und Energieeinsatz eröffnen. Deshalb hat das Umweltbundesamt einen entsprechenden Forschungsauftrag angeschoben. Bei der Industrie selbst passiere in dem Bereich erstaunlich wenig, so Troge. Allenfalls in der nachgeschalteten Abwasserreinigung und bei Altlasten würden solche Verfahren bisher angewandt.

Im Fachgebiet Bio- und Gentechnik hoffen die Mitarbeiter derweilen auf mehr Macht. Schließlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Zuständigkeit für Genehmigungen bei der Freisetzung und beim Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen werden überprüft.“ Bisher hat das Umweltbundesamt nur bei Freisetzungsversuchen ein Vetorecht. Bei Produktzulassungen darf das Amt nur Stellung nehmen.

Grundsätzlichen Innovationsbedarf sieht Troge auch bei der Umweltgesetzgebung: „Rechtsverordnungen, die sich isoliert auf Abfall oder Boden richten, passen nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung.“ Das Ziel der Verpackungsverordnung sei beispielsweise gewesen, Abfälle von der Deponie fernzuhalten.

Bei den Ökobilanzen, die das Umweltbundesamt erarbeitet, spielen jedoch inzwischen etwa zehn Kriterien eine Rolle: außer der Müllmenge beispielsweise auch Verkehr, Lärm, Treibhauseffekt oder Ozon und anderes. All das wird gegeneinander abgewogen, bevor das Amt gegenüber Politik und Öffentlichkeit eine empfehlende Bewertung abgibt. „Wo die Tätigkeit eines Professors aufhört, nämlich der Publikation seiner Forschung, fängt unsere Arbeit an. Wir werden gefragt: Was ist zu tun?“ sagt Troge, selbst Professor für Umweltökonomie. Um zu ausgewogenen Antworten zu kommen, bindet das Umweltbundesamt gegenwärtig mehrere Abteilungen näher aneinander, was nicht überall im Haus auf Begeisterung stößt. Manche fürchten, daß das eigene Forschungsgebiet an Bedeutung verliert.

Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft hält der Chef des Umweltbundesamtes für ambivalent. Es komme darauf an, daß der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so gestalte, daß die Industrie sich möglichst ökologisch verhalte. Viele der knapp 100 Selbstverpflichtungen funktionierten nicht schlecht. Positive Erfahrungen gebe es bei Kennzeichnungen oder bei der Asbestsubstitution im Hochbau, wo der Markt für Ersatzprodukte gesorgt habe.

Ökologisch schwach sei dagegen die Selbstverpflichtung der Autoindustrie beim Spritverbrauch: Zum einen hat der Verband der Autoindustrie die Zusage, den durchschnittlichen Benzinverbrauch zu senken, an eine ausreichende Verkehrsinfrastruktur gekoppelt. „Hier gibt es eine Vermischung der Verantwortlichkeiten“, rügt Troge. Zum zweiten bezieht sich die Selbstverpflichtung nicht auf den Gesamtverbrauch aller Autos, sondern auf den Spritbedarf für 100 Kilometer. Alle Forscher sind sich indes einig, daß die Fahrleistung weiter steigen wird. Und weil die Autos inzwischen sogar wieder größer werden, werde eventuell sogar das von der Industrie in der Selbstverpflichtung erklärte Ziel verfehlt, meint Troge. „Auf jeden Fall rechnen wir bis zum Jahr 2005 mit weiter ansteigenden CO2-Emissionen aus dem Verkehrsbereich“, lautet sein Fazit.

Auch bei den Konsumenten will die Bundesbehörde ansetzen. „Vor fünf, sechs Jahren war das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung noch ausgeprägter als heute“, glaubt Troge. Jetzt spielten die Kosten meist die zentrale Rolle bei der Kaufentscheidung. „Und bei real sinkenden Treibstoffpreisen reagieren die Leute normal: Sie fahren mehr. Umgekehrt können wir aber auch damit rechnen, daß die Menschen sich darauf einstellen, wenn sich die Benzinpreise erhöhen.“ Als der Sprit 1994 um 16 Pfennig teurer wurde, ließen die Leute bis ins Folgejahr hinein ihre Wagen öfters stehen – Benzinverbrauch und CO2-Lasten sanken. Troge empfiehlt eine Benzinpreiserhöhung um insgesamt 50 Pfennig – nach einer zweijährigen Vorwarnzeit und verteilt auf mehrere Jahre. Damit könnten Kosten des Straßenverkehrs wie Unfälle und Ozonschäden dem Verursacher angelastet werden.

Die magere Benzinpreiserhöhung der neuen Bundesregierung will Troge dennoch nicht negativ kommentieren. Er lobt sie sogar als ersten Schritt einer ökologischen Steuerreform. In der als progressiv geltenden Verkehrsabteilung seines Amtes macht sich dagegen Enttäuschung breit. Die Spritpreiserhöhung sei „lächerlich“, die Bevorzugung von Dieselkraftstoff auf Druck der deutschen Spediteure fortgesetzt worden. Mißtrauisch ist man dort auch, ob sich der neue Bundesverkehrswegeplan tatsächlich stärker an Umweltgesichtspunkten ausrichten wird, so wie es der Koalitionsvertrag ankündigt.