Nachrichten von der Selbstbewußtlosigkeit

■ Der Hinterhofpoet Mex Schlüpfer glänzte im Café Siemeck mit Zoten und Anekdoten

„Ick nennet Interaktion“, sagt Mex Schlüpfer, nachdem er am Ende seiner „szenischen Lesung mit Kampfhund & Arschgeige“ angelangt ist. Den Queen-Song „We Will Rock You“ will er intonieren, und das Publikum soll mitmachen: aufstehen, Arme schwenken, mit den Füssen stampfen. Pitbull Frieda schlummert derweil friedlich schnarchend auf dem Bühnenboden, die Arschgeige, ein elektronisches Saiteninstrument mit aufgeschraubtem Kindertöpfchen, steht erwartungsvoll in der Ecke.

Das Publikum hat aber keine so große Lust auf die Interaktion, und deswegen sagt Mex, an dem ein bißchen Bierbauch, die Oberarmmuskeln und der eher ungepflegte und struppige Dreitagebart hervorstechen, zum Abschied leise: „Ich hoffe, daß ich euch alle sexuell weitergebracht habe.“

Ob und bei wem Schlüpfer, die schmale Gestalt ganz in Schwarz, soviel erreichen konnte am Montag abend im Café Siemeck, weiß ich nicht zu sagen. Auf die ca. fünfköpfige weibliche Fangemeinde schien er durchaus zu wirken, und gemüht hat er sich redlich – mit ein bißchen Musik, einigen Anekdoten und zwei Kapiteln aus seinem unveröffentlichten Roman „Lieber total fertig als unvollendet“. Daß der Titel an die Poesie des Spontispruchs erinnert, ist wegweisend für den Rest des Textes. Kalauer wie „Tarzan aus Marzahn“ wechseln darin mit Sentenzen vom Schlag eines „Wer bis zum Hals in der Scheiße steckt, sollte den Kopf nicht hängen lassen.“ Im Mittelpunkt der Story steht eine verkrachte Künstlerexistenz, die von Schulden- und Müllbergen und ihrer eigenen Eitelkeit verfolgt wird. Als Antagonistin tritt eine blonde, blöde Kuh namens Melissa auf, die nicht umsonst so heißt wie Kräutertee und ständig bemüht ist, Ordnung ins Leben des Helden zu bringen. Was den nicht gut von der Dame denken läßt. Schwarze Löcher, die Blähungen des Kampfhundes und „Selbstbewußtlosigkeit“ kommen auch vor, und natürlich fast alle Topoi, die sich um die Figur des armen Poeten gruppieren. „Wie ein verirrter Wolf heulte ich meine Verzweiflung in die Sterne“, heißt es dann. Und ausführlich wird beschrieben, wie der Held zu Zeiten größter Not den Teppich nach Haschischresten absucht. Weil Schlüpfer bei allem Nonsens, den zu verbraten ihm sichtlich Freude bereitet, auch belesen ist, fallen manchmal große Namen: Rimbaud, de Sade, Lorca.

Das ist so hoch gegriffen wie die Genie-und-Wahnsinn-Pose ausgelutscht. Doch dem Schlüpfer-Fan- Club im Publikum gefällt's: Bei allen Episoden, die auf Deckungsgleichheit zwischen Held und Autor hinarbeiten, wird vielsagend gelacht und kommentiert. Irgendwann fragt einer aus den hinteren Reihen nach Melissas Telefonnummer. Aber so interaktiv, daß er die tatsächlich rausrücken würde, ist Schlüpfer dann doch nicht. Cristina Nord