Israels Wahlkampf hat schon begonnen

■ Die Knesset stimmt mit überwältigender Mehrheit für vorgezogene Neuwahlen im Mai

Jerusalem (taz) – Am Ende hat er wohl kalte Füße bekommen. Während er in der ersten Lesung noch für die Auflösung der Knesset und vorgezogene Neuwahlen stimmte, blieb Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag der Abstimmung über die zweite und dritte Lesung fern. Erst als das Ergebnis verkündet wurde, nahm er seinen Platz wieder ein. Und mußte staunend hören, daß das Ergebnis noch deutlicher ausgefallen war als in der ersten Lesung. Mit 85 zu 27 Stimmen bei einer Enthaltung fiel die Mehrheit überwältigend aus. Damit steht Israel ein gut viermonatiger Wahlkampf bevor, der ebensoviel Aufregung wie politische Lähmung mit sich bringen dürfte.

Noch vor der Abstimmung in der Knesset hatte der Chef der Arbeitspartei, Ehud Barak, den Wahlkampf seiner Partei offiziell eröffnet. Nicht ganz zufällig stattete er als erstes der nordisraelischen Stadt Kiryat Schmoneh einen Besuch ab. Kiryat Schmoneh liegt innerhalb der Feuerzone der Katjuscha-Raketen der Hisbollah. Barak wollte den Einwohnern der Stadt, die als traditionelle Hochburg des Likud gilt, seine Solidarität und Anteilnahme beweisen.

Die neue zentristische Partei dürfte heute offiziell aus der Taufe gehoben werden, auch wenn sich die Verbündeten Dan Meridor und Amnon Lipkin-Shahak noch nicht einig sind, wer den Parteivorsitz innehaben und damit Ministerpräsidentenkandidat sein wird. Im Grundsatz stimmen Meridor und Shahak politisch überein. Die Arbeitspartei ist ihnen „zu weit links“, und der Regierungskoalition sprechen sie jedes Vertrauen ab. Meridor kündigte zudem an, daß er Israel eine Verfassung „verpassen“ will. Bislang gibt es lediglich einige grundlegende Gesetze, aber keine kodifizierte Verfassung.

Vertreter fast aller Parteien wandten sich gegen die neue Partei von Avigdor Lieberman, „Israel ist unser Haus“. Der Ex-Kabinettschef von Netanjahu hatte eine neue Politik von Law and order gefordert und Polizei und Justiz scharf angegriffen. „Seine Rede ist eine der gefährlichsten, die wir in Israel je gehört haben“, erklärte Dan Meridor, „insbesondere, weil sie sich an Neueinwanderer wendet, denen jede Form von Demokratie noch neu ist.“

Nach der Abstimmung über vorzeitige Neuwahlen traf die Knesset eine zweite Entscheidung von weitreichender Bedeutung. In erster Lesung wurde ein Gesetz verabschiedet, das eine mögliche Rückgabe des Golan an Syrien erheblich erschwert. Demnach müssen mindestens 61 Abgeordnete der 120köpfigen Knesset und die Mehrheit der Bevölkerung in einem Referendum einem Rückzug vom Golan zustimmen. Die linke Meretz-Partei beantragte, die Abstimmung über das Gesetz mit einem Mißtrauensvotum gegen die Regierung zu verbinden, um die Abstimmung wie üblich um eine Woche zu verzögern. Doch Netanjahu akzeptierte die Verbindung mit einem Mißtrauensvotum. Dies zwang etliche Abgeordnete der Arbeitspartei, die dem Golan-Gesetz zustimmen, zur Enthaltung, um die Regierung Netanjahu nicht vorzeitig zu Fall zu bringen und damit Neuwahlen innerhalb der verfassungsgemäß vorgeschriebenen 60 Tage abhalten zu müssen. Nach dem kurz zuvor verabschiedeten Datum für Neuwahlen am 17. Mai wäre dies in der Tat einer Farce gleichgekommen. Georg Baltissen