■ Kolumne
: Lobbyisten-Unwesen

Ist es tatsächlich nur der globalisierende Kapitalismus? Ist es vielmehr nicht auch das Lobbyisten-Unwesen, das das Leben im nächsten Jahrtausend zu einer freudlosen Angelegenheit voller Mühsal und Plage machen wird? Sind es nicht die bezahlten Interessenvertreter, die für die Mitglieder um jeden Preis das letzte herauszuholen programmiert sind, die derzeit nur Ärzte und Sportprofis zum Streiken bringen, demnächst aber vielleicht auch Regierungen, Armeen, Millionäre?

Vor diesem Hintergrund ist Mißtrauen geboten gegenüber dem Gejammer der Buchverlage wegen drohendem Wegfall der Preisbindung und in ihrer Argumentation daraus zwingend folgendem Untergang des deutschen Dichter- und Denkertums. Finden auch die Lobbyisten der Plattenindustrie, die zurückposaunen: Ha, solche Sorgen möchten wir haben! Welch paradiesische Zustände hätten wir bei einer Preisbindung – CD-Handelsabgabepreis zack rauf auf fuffzig Mark, wie es BMG-Boß Thomas Stein sich schon seit Jahren wünscht.

Im Gegensatz zur Plattenbranche hat die Buchbranche das Share-holder-value-Denken noch nicht komplett verinnerlicht. Das wird auch noch eine Zeit dauern, denn noch gelten Bücher als Hochkultur und haben daher viele wortreiche Anwälte, derer sich die Lobbyisten bei jeder gebotenen Gelegenheit bedienen können. Dieser Zustand wird natürlich nicht ewig dauern, und das Vordringen von Musik-Lobbyisten wie Dieter Gorny in die Nähe der politischen Machtzentren wird eine Veränderung hier noch beschleunigen. Am Ende ihres Marsches durch die Institutionen werden die Subventionen für Viva nicht niedriger ausfallen als die für Opernhäuser, und ein schlauer Verlag wie Suhrkamp sieht sich wahrscheinlich schon jetzt nach Sponsoren für das Lyrikprogramm des Herbstes 2002 um.

Ein weiterer Strukturvorteil der Buchbranche ist, daß sie kein Äquivalent zu den gefürchteten „Radio-Hits“ liefern muß, die mittlerweile jeder im Gepäck haben muß, der in der Musikindustrie einen Zeh in die Tür bekommen will. Buchverlage müssen quasi nur Alben produzieren, ein Musiker erwirbt sich erst das Recht, ein Album aufzunehmen, nachdem er einen Titel ausgetüftelt hat, der häufige Einsätze im Radio erzielt. Seit der Formatierungs-Sintflut Mitte der 80er sind dort die Anforderungen jedoch so ausgestaltet, daß selbst für heutige Äquivalente zu Elvis, den Beatles oder Sinatra eine Karriere ausgeschlossen wäre.

Entsprechend der alten Weisheit „Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde“ bleibt uns Feinden der Musikindustrie derzeit nur die Hoffnung, daß die Dinge, vor denen die Musikbranche im Moment am meisten Angst hat, ihr viel Schaden zufügen: nämlich Vertrieb übers Internet bzw. neue digitale Formate wie MP3 und schließlich die Überflüssigkeit des Tonträgers durch die ständige Verfügbarkeit von Musik aus Datenbanken. Ob sich das digitale Buch je durchsetzt? Detlef Diederichsen