Sierra Leones Rebellen vor dem Sieg

Die Rebellen in Sierra Leone sind dabei, die Hauptstadt Freetown einzunehmen. Nigerias Militärintervention zum Schutz der Regierung von Präsident Kabbah scheitert. Wird Sierra Leone zu Nigerias Vietnam?  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Mit ihrem Einmarsch in der Hauptstadt Freetown hat Sierra Leones Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) ihre lange angekündigte Neujahrsoffensive überraschend schnell wahr gemacht. Noch in den letzten Tagen hatte die Regierung von Sierra Leones Präsident Ahmed Tejan Kabbah ständig Erfolge gegen die Rebellen gemeldet und behauptet, die „Weihnachtsoffensive“ der RUF sei gestoppt. Nun steht sie selber vor dem Sturz.

Die RUF entstand 1991 als Bewegung unzufriedener Jugendlicher gegen die korrupten Zivilregierungen von Sierra Leone und wurde von den Rebellen des Guerillaführers Charles Taylor im benachbarten Liberia unterstützt. Nach jahrelangem Buschkrieg und einem kurzzeitigen Friedensschluß übernahmen RUF-Kämpfer 1997 an der Seite putschender Militärs die Macht. Die Junta wurde im Februar 1998 von der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog wieder gestürzt. Die Ecomog, deren 15.000 bis 19.000 Soldaten hauptsächlich aus Nigeria kommen, setzte den gewählten Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah wieder ein. Sie kontrolliert seitdem faktisch das regierungsgehaltene Territorium in Sierra Leone, hat aber die Reste der Guerilla, zu denen immer noch Teile der Armee des Landes gehören, nicht besiegen können. RUF-Führer Foday Sankoh wurde im Oktober zum Tode verurteilt, aber noch nicht hingerichtet; seitdem haben die Rebellen beständig Erfolge erzielt.

Im Laufe der letzten Wochen lagen die Ortschaften, aus denen die Ecomog angeblich gerade wieder Rebellen vertrieben hatte, immer näher an Freetown. Zu Wochenbeginn verkündete die Regierung die „Operation Clean Sweep“, bei der „jeder Quadratzentimeter“ des Staatsgebietes nach Rebellen durchkämmt werden sollte – aber der Erfolg beschränkt sich auf Meldungen, die nigerianische Luftwaffe bombardiere RUF-Stützpunkte in „Höhlen“ in den Bergen um Freetown. Einheimische Medien berichten, Söldner aus Südafrika würden Nigerias Truppe helfen.

Die vom Regierungslager immer wieder aufgestellte Behauptung, die gesamte Bevölkerung Sierra Leones hasse die Rebellen, paßt schlecht zu den Berichten von der Front. Selbst nach Regierungsangaben funktioniert der Vormarsch der RUF dadurch, daß sich die Rebellen immer wieder unter die Zivilbevölkerung mischen. Der nigerianische Ecomog-Kommandeur Tim Shelpidi spricht jetzt sogar von „Verrätern“ in der Regierungsarmee. Je mehr Truppen Nigeria nach Sierra Leone schickt, um so geringer ist der militärische Erfolg. Den naheliegenden Vergleich mußte Sierra Leones US- Botschaft jetzt in einer Mitteilung dementieren: „Der Konflikt in Sierra Leone ist völlig anders als der Vietnam-Konflikt.“

Das Regierungslager ist aber durchaus zu einer Paranoia in der Lage, die direkt aus dem Vietnamkrieg abgekupfert sein könnte. Am Montag erklärte die Botschaft Sierra Leones in den USA: „Es ist nun offensichtlich, daß die Gewalt in Sierra Leone ein direktes Produkt des Bestrebens von (Liberias) Präsident Charles Taylor ist, mit der Hilfe Libyens und Burkina Fasos die westafrikanische Subregion zu destabilisieren, um ein Bündnis von Verbrecherregimes einzusetzen, das internationalen Kriminellen, Schurken und Revolutionären Zuflucht gewähren und großangelegte systematische Illegalitäten gegen gesetzestreue Gesellschaften begehen wird.“

Für Sierra Leone würde ein erneuter Machtwechsel in Freetown kein Ende des Krieges bedeuten. Die nigerianischen Ecomog-Generäle sind sich diplomatischer und finanzieller Hilfe aus den USA und Großbritannien sicher und werden sich nicht geschlagen geben. Vielmehr droht eine neue Runde eines Krieges, der bereits 500.000 der 4,5 Millionen Einwohner des Landes ins Ausland getrieben und 1,2 Millionen weitere zu Binnenflüchtlingen gemacht hat.