Mit allen Mitteln gegen Imageverlust

■ Der interne Streit um die geplante Unterschriftensammlung der Union gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ist voll entbrannt. Die CSU erhofft sich von der Kampagne neue Popularität. Aufmüpfige CDU-Abgeordnete fürchten die gesellschaftliche Isolation der Union.

„Wir sind weder grundsätzlich für noch grundsätzlich gegen die Aktion.“ Palastrevolutionen wollen gelernt sein. Fast allen CDU- Abgeordneten fehlt da die Übung, auch den ewig jungen Wilden unter ihnen. So mühten sich diejenigen gestern redlich wenigstens um einen verbindlichen Ton, die vor der Bundespressekonferenz in Bonn tapfer die ersten Schritte auf dem unbekannten, gefahrvollen Territorium wagten. Die Botschaft von Peter Altmaier, Hermann Gröhe, Eckart von Klaeden und Norbert Röttgen war dennoch unmißverständlich: Der interne Streit um die geplante Unterschriftensammlung der Union gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ist voll entbrannt.

„Wir machen eine Kampagne, ohne vorher mit jemandem gesprochen zu haben“, kritisierte Norbert Röttgen. Nach dem Willen der Parlamentarier sollte erst einmal das Gespräch mit gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und Ausländerorganisationen gesucht werden. Andernfalls drohe die Gefahr von Mißverständnissen, einer groben Vereinfachung und der gesellschaftlichen Isolation der Union.

Zu Bundesgenossen der rot- grünen Regierung wollen die CDU-Abgeordneten allerdings auch nicht werden. Deren Pläne halten sie für „viel zu weitgehend“. Eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts sei zwar notwendig, betonte Peter Altmaier, aber er wende sich auch gegen „die Einführung einer generellen doppelten Staatsbürgerschaft als Regelfall und zum Nulltarif“. Einen Konsens über die Parteigrenzen hinweg fänden die jungen Wilden schön. Das Thema eigne sich nicht für einen Wahlkampf, deshalb hätten sie auch in den vergangenen acht Monaten dazu geschwiegen.

Und ob sich das Thema für einen Wahlkampf eignet! Der hessische CDU-Spitzenkandidat Roland Koch will mindestens 100.000 Stimmen in seinem Bundesland sammeln, wo im Februar gewählt wird. Auch CSU-Politiker scheinen von der Wahlkampftauglichkeit überzeugt zu sein. Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer hofft, daß die Union mit der Kampagne wieder an Popularität gewinnt: „Ich glaube, wir sind gut beraten, unsere Politik danach auszurichten, was die Mehrheit der Bevölkerung wünscht“, sagte er. Ähnlich äußerte sich auch der scheidende CSU-Vorsitzende Theo Waigel. Beiden scheint entgangen zu sein, daß das Thema schon im Bundestagswahlkampf eine große Rolle gespielt hat. Milde wies darauf Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern hin, und er erinnerte auch daran, wer die „Volksabstimmung“ am 27. September gewonnen hat.

Ungeachtet dessen nahmen die Töne aus Bayern gestern an Schärfe zu. Landesinnenminister Günther Beckstein (CSU) nannte die Reformpläne einen „Anschlag auf die innere Sicherheit“. Der Chef der Münchner Staatskanzlei Erwin Huber befürchtet gar eine „Zwangsgermanisierung“.

Vor diesem Hintergrund ist schwer vorstellbar, daß die Bedingung der aufmüpfigen CDU-Abgeordneten für ihre Teilnahme an der Aktion erfüllt werden wird. Sie verlangen, daß bei der Unterschriftensammlung die Integration der hier lebenden Ausländer im Vordergrund steht. Sonst wollen sie nicht mitmachen. Leicht süffisant wies Peter Altmaier darauf hin, immerhin hätten sowohl der neue Parteichef Wolfgang Schäuble als auch CDU-Generalsekretärin Angela Merkel angemahnt, die CDU müsse „diskussionsfreudiger, offener, kontroverser“ werden. Ob die wirklich das damit gemeint hatten?

Wolfgang Schäuble hat jedenfalls erst einmal in einem Interview mit der Zeit unverdrossen versichert, er habe keine Zweifel an der Geschlossenheit seiner Partei in dieser Frage. Die Union fordere ja nicht „Ausländer raus“, sondern „Integration ja, doppelte Staatsbürgerschaft nein“. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel will sich eigenem Bekunden zufolge dafür stark machen, daß die Aktion einen „Text mit Augenmaß“ enthält. Es bleibt abzuwarten, ob das dem starken Mann aus Bayern reicht. Auf eine „persönliche Absprache“ zwischen Schäuble und Ministerpräsident Edmund Stoiber geht der umstrittene Plan Peter Altmaier zufolge zurück. Nach Ansicht von Beobachtern in Bonn droht dem CDU-Parteichef ein erheblicher Imageverlust. Bei Gegnern der Unterschriftensammlung setzt er sein Profil als integrativer Politiker aufs Spiel. Zustimmung zur Kampagne wird wohl eher Stoibers Konto gutgeschrieben.

Und das dürfte nicht Schäubles einziges Problem bleiben. Ganz freundlich hat Innenminister Otto Schily gestern dem bayerischen Ministerpräsidenten Verhandlungen über eine Verfassungsänderung angeboten, die den Volksentscheid ermögliche. Schäuble, so der Innenminister, habe daran wohl weniger Interesse. Die Verstärkung von Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung ist Bestandteil des rot-grünen Koalitionsvertrages. „Wenn Herr Stoiber es ernst meint, daß er das Volk befragen lassen möchte, bitte schön“, sagte Schily. Er solle ihn nur anrufen. „Dieses Angebot möchte ich ausdrücklich machen.“

Schäuble in der Zwickmühle. Im Zeit-Interview hat er sich übrigens zufrieden über den Start seiner Partei in die Opposition geäußert. Er habe nicht geglaubt, daß die Union die ersten drei Monate nach der Niederlage bei der Bundestagswahl „so gut überstehen“ würde. Was hat der CDU-Chef denn noch alles befürchtet? Bettina Gaus, Bonn