Doppelte Zwietracht in der Union

■ Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit wird für die CDU/CSU zur Zerreißprobe: Reformorientierte Abgeordnete befürchten Isolierung der Partei, CSU will Gesetz mit allen Mitteln verhindern

Bonn (taz) – Der Streit um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts spitzt sich zu – innerhalb der Union. Während CDU- Abgeordnete aus den Reihen der sogenannten Jungen Wilden gestern die geplante Unterschriftensammlung ihrer Partei gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als „problematisch und bedenklich“ einstuften, hat CSU-Chef Theo Waigel eine Verfassungsklage gegen die Reformpläne der rot-grünen Bundesregierung angekündigt. „Selbstverständlich werden wir jeden Weg nehmen, zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof, um diese falsche innenpolitische Weichenstellung zu verhindern“, erklärte er vor Beginn der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth.

Wogegen er genau klagen will, weiß Theo Waigel allerdings noch nicht. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will den Gesetzentwurf der Regierung erst in der nächsten Woche vorlegen. Vorher sollen noch koalitionsinterne Gespräche zum Thema stattfinden. Ungeachtet dessen meldeten sich gestern erneut Gegner der Reform mit markigen Vorwürfen zu Wort. Der Bonner Staatsrechtler Joseph Isensee nannte die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft einen „Staatsstreich durch das Parlament“. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte erst vor einigen Tagen erklärt, die Pläne gefährdeten die Sicherheitslage in Deutschland mehr als die Terroranschläge der RAF.

„Diese übelste Propaganda kann nur zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen“, sagte dazu gestern die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne). Innenminister Schily warf Stoiber vor, er leide unter „potentiellem Realitätsverlust“. Zugleich zeigte er sich erfreut über „besonnene Stimmen“ aus der CDU und begrüßte „besonders“, daß auch die FDP offenbar auf eine „sachbetonte“ Diskussion Wert lege.

FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle hatte zuvor die geplante Unterschriftenkampagne der Union heftig kritisiert. Vor allem die CSU betreibe „eine skandalöse Stimmungsmache, wie man sie bislang nur von rechtsextremen Politikern kannte“. Er schlug der SPD Verhandlungen über das Thema vor. Einen parteiübergreifenden Konsens wünschen sich auch Kritiker der geplanten Unterschriftensammlung innerhalb der Union. Mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete bezeichneten gestern die Pläne der Bundesregierung zwar als zu weitreichend, äußerten jedoch zugleich die Sorge, die Kampagne drohe die Union gesellschaftlich zu isolieren und zu einer groben Vereinfachung des Themas zu führen.

„Wenn es bei der jetzigen Tonlage bleibt, ist es ein schädliches Thema, auch für die Union“, sagte der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen in Bonn. Sein Parteifreund Roland Koch hingegen, Spitzenkandidat bei den hessischen Landtagswahlen im Februar, hält die Debatte für einen zentralen Punkt „der nationalen Auseinandersetzung“ und findet, sie müsse „mit aller Schärfe“ geführt werden. Mindestens eine Million Stimmen will die CDU seinen Angaben zufolge gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft sammeln. So viele hatten 1994 Befürworter der Reform bereits bekommen.

Bettina Gaus Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 12